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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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ähnliche Züge hinzugefügt. Die endgültige und in vielen Aspekten erreichte Perfektion der Mimikry wurde durch die summierte natürliche Auslese, betrieben von vielen verschiedenen Räuberspezies, erzielt. Kein einziger Räuber sieht die Vollkommenheit der Mimikry, das tun nur wir Menschen.
    Das hört sich so an, als seien nur wir Menschen »schlau« genug, um die Mimikry in ihrer ganzen Großartigkeit zu erkennen. Nicht nur wegen dieses menschlichen Snobismus ziehe ich noch eine andere Erklärung vor. Sie besagt: Gleichgültig, wie gut das Sehvermögen eines Räubers unter einigen Bedingungen sein mag, unter anderen Bedingungen kann es außerordentlich schlecht sein. Tatsächlich können wir aufgrund der uns selbst vertrauten Erfahrung leicht das gesamte Spektrum von außerordentlich schlechter bis zu hervorragend guter Sicht verstehen. Wenn ich direkt auf eine Gespenstheuschrecke sehe, die in zehn Zentimeter Entfernung und im hellen Tageslicht vor meiner Nase sitzt, so werde ich mich nicht täuschen lassen. Ich sehe die langen Beine, die sich an den Stamm anschmiegen. Ich erkenne vielleicht auch die unnatürliche Symmetrie, die ein echter Stock nicht hätte.
    Wenn ich jedoch, mit genau denselben Augen und demselben Gehirn, in der Dämmerung durch den Wald gehe, so gelingt es mir möglicherweise kaum, irgendein tarnfarbenes Insekt von den überall vorhandenen Ästen zu unterscheiden. Das Bild des Insekts streift vielleicht nur den Rand meiner Retina, statt die scharfe zentrale Region zu treffen. Oder das Insekt ist möglicherweise 50 Meter entfernt und erzeugt somit nur ein winziges Bild auf meiner Retina. Oder aber das Licht ist so schlecht, daß ich kaum irgend etwas sehen kann.
    Es kommt wirklich nicht darauf an, wie entfernt, wie schwach die Ähnlichkeit eines Insekts mit einem Stock ist, es muß nur eine gewisse Menge an Zwielicht oder eine gewisse Entfernung vom Auge oder ein gewisses Maß an Ablenkung der Aufmerksamkeit des Räubers vorhanden sein, so daß sogar ein sehr gutes Auge durch die entfernte Ähnlichkeit getäuscht wird. Wenn der Leser das für ein spezielles Beispiel, das er im Sinn hat, nicht glaubhaft findet, so soll er einfach das imaginäre Licht ein wenig weiter herunterdrehen oder sich ein bißchen weiter von seinem imaginären Objekt wegbegeben! Der springende Punkt ist, daß manch ein Insekt durch eine außerordentlich geringe Ähnlichkeit mit einem Ast oder einem Blatt oder einem Dunghaufen gerettet wurde, bei Gelegenheiten, wo es weit von einem Räuber entfernt war oder wo der Räuber bei Dämmerlicht oder bei Nebel in seine Richtung schaute, oder wo er es anschaute, während er von einem bereitwilligen Weibchen abgelenkt war. Und manches Insekt wurde, vielleicht sogar vor genau demselben Räuber, durch eine ungeheuer große Ähnlichkeit mit einem Ästchen gerettet, bei Gelegenheiten, wo der Räuber es zufällig aus relativ geringer Entfernung und bei sehr gutem Licht sah. Das Wichtige an Lichtintensität, Entfernung des Insekts vom Räuber, Abstand des Bildes vom Mittelpunkt der Retina und ähnlichen Variablen ist, daß sie alle kontinuierliche Variablen sind. Sie variieren um fast unmerkliche Grade über die ganze Spanne von extremer Unsichtbarkeit bis zu extremer Sichtbarkeit. Solche kontinuierlichen Variablen begünstigen eine kontinuierliche und schrittweise Evolution.
    Richard Goldschmidts Problem - nur eins aus einem Komplex, der ihn die längste Zeit seines Berufslebens auf die extreme Meinung zurückgreifen ließ, die Evolution erfolge eher in großen Sprüngen als in kleinen Schritten - erweist sich als nicht existent. Und so nebenbei haben wir uns selbst noch einmal bewiesen, daß fünf Prozent Sichtvermögen besser sind als gar keines. Die Qualität meiner Sehfähigkeit ganz am Rande der Retina ist wahrscheinlich sogar noch schlechter als fünf Prozent in ihrem Mittelpunkt, wie auch immer ich Qualität messe. Doch ich kann aus dem äußersten Augenwinkel immer noch einen großen Lastwagen oder Autobus entdecken. Da ich jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre, hat mir diese Fähigkeit sehr wahrscheinlich schon das Leben gerettet. Den Unterschied merke ich, wenn es regnet und ich einen Hut trage. Die Qualität unseres Sehvermögens in dunkler Nacht muß bei weitem schlechter sein als fünf Prozent am hellen Mittag, doch manch einer meiner Vorfahren wurde wahrscheinlich gerettet, weil er mitten in der Nacht etwas sah, was wirklich wichtig war, einen Säbelzahntiger

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