Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
Wasserstoffsuperoxyd in das Hydrochinon hineingegossen, und es ist absolut nichts geschehen. Mir ist noch nicht einmal warm geworden. Natürlich wußte ich das im voraus: so verrückt bin ich nun auch wieder nicht! Die Aussage, daß »diese zwei Chemikalien, wenn sie zusammengemischt werden, im wahrsten Sinne des Wortes explodieren«, ist ganz einfach falsch, obwohl sie in der ganzen Literatur der Kreationisten regelmäßig wiederholt wird. Übrigens, falls der Leser darauf neugierig ist, was mit dem Bombardierkäfer los ist: tatsächlich geschieht folgendes. Es ist richtig, daß er seine Feinde mit einer kochendheißen Mischung aus Wasserstoffsuperoxyd und Hydrochinon bespritzt. Aber Wasserstoffsuperoxyd und Hydrochinon reagieren nicht heftig miteinander, solange kein Katalysator zugegeben wird. Und das tut der Bombardierkäfer. Was die evolutiven Vorläufer des Systems betrifft, so werden sowohl Wasserstoffsuperoxyd als auch verschiedene Arten von Chinonen in der Körperchemie zu anderen Zwecken benutzt. Die Vorfahren des Bombardierkäfers taten nichts anderes, als Chemikalien, die zufällig bereits sowieso vorhanden waren, einem anderen Dienst zuzuführen. Dieser Methode bedient sich die Evolution häufig.
Auf derselben Seite des Buches, wo der Absatz über den Bombardierkäfer steht, finden wir die Frage: »Welchen Sinn hätte ... eine halbe Lunge? Die natürliche Auslese würde sicher Kreaturen mit solchen Seltsamkeiten ausrotten., nicht bewahren.« Bei einem gesunden ausgewachsenen Menschen ist jede der beiden Lungen in etwa 300 Millionen winzige Kammern unterteilt, die an den Spitzen eines sich verzweigenden Röhrensystems liegen. Die Architektur dieser Röhren ähnelt dem biomorphen Baum unten in Abb. 2 aus dem vorigen Kapitel. In jenem Baum ist die Anzahl der durch »Gen 9« determinierten aufeinanderfolgenden Verzweigungen gleich 8, und die Anzahl der Zweigspitzen ist 2 hoch 8, oder 256. Wenn wir in Abb. 2 von oben nach unten steigen, verdoppelt sich die Anzahl der Astspitzen mit jedem Schritt. Um 300 Millionen Astspitzen zu erhalten, wären lediglich 29 aufeinanderfolgende Verdoppelungen erforderlich. Man beachte, daß es von einer einzelnen Kammer bis zu 300 Millionen winziger Kammern eine kontinuierliche Abstufung gibt, wobei jeder einzelne abgestufte Schritt durch eine weitere Zweiteilung entsteht. Dieser Übergang kann in 29 Verzweigungen erreicht werden, die wir uns naiv als einen würdevollen 29 Schritte langen Spaziergang quer durch den genetischen Raum vorstellen können.
Im Falle der Lungen ist das Resultat all dieser Verzweigungen das Anwachsen der Oberfläche im Inneren jeder Lunge auf ungefähr 60 Quadratmeter Fläche die entscheidend wichtige Variable für eine Lunge, denn die Fläche bestimmt die Geschwindigkeit, mit der Sauerstoff eingeatmet und unbrauchbares Kohlendioxyd ausgestoßen werden kann. Nun ist das Besondere an Fläche, daß es eine kontinuierliche Variable ist. Fläche ist nicht eins dieser Dinge, das man entweder hat oder nicht hat. Es ist etwas, von dem man ein bißchen mehr oder ein bißchen weniger haben kann. Stärker als die meisten anderen Dinge ist Lungenfläche für eine graduelle, schrittweise Veränderung geeignet, und zwar über eine ganze Reichweite von null bis hin zu 60 Quadratmetern.
Es laufen eine ganze Menge von Patienten herum, die nach einem chirurgischen Eingriff nur noch eine einzige Lunge haben, und einige von ihnen besitzen lediglich ein Drittel der normalen Lungenfläche. Sie können zu Fuß gehen, aber sie gehen nicht sehr weit und auch nicht sehr schnell. Und das ist der springende Punkt. Der Effekt einer schrittweisen Verringerung der Lungenfläche ist nicht ein absoluter Alles-oder- nichts-Effekt für das Überleben. Es ist ein allmählicher, sich kontinuierlich ändernder Effekt, wie weit und wie schnell man gehen kann. Ja, es ist ein gradueller, sich fortwährend verändernder Effekt, wie lange zu leben man erwarten kann. Der Tod kommt nicht plötzlich, wenn die Lungenfläche unter einen besonderen Schwellenwert absinkt! Er wird allmählich wahrscheinlicher in dem Maße, wie die Lungenfläche unter einen Optimalwert absinkt (und aus anderen Gründen, die mit wirtschaftlicher Verschwendung zu tun haben, ebenso in dem Maße, wie sie über dasselbe Optimum hinaus zunimmt).
Die ersten unserer Ahnen, die Lungen entwickelten, lebten fast mit Sicherheit im Wasser. Wir können uns vorstellen, wie sie geatmet haben mögen, wenn wir uns die rezenten
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