Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
ist, daß die Qualität seiner Retina den Gedanken nahelegt, daß es tatsächlich, erheblich und unmittelbar, von einer Linse profitieren würde. Es ist wie ein Hifi-System mit einem hervorragenden Verstärker, aber der Plattenspieler hat eine stumpfe Nadel. Das System schreit geradezu nach einer ganz speziellen einfachen Veränderung. Es scheint, als säße Nautilus im genetischen Hyperraum ganz dicht neben einer offensichtlichen und in Reichweite liegenden Verbesserung, doch es tut den kleinen Schritt nicht. Warum nicht? Michael Land von der Universität Sussex, unsere oberste Autorität auf dem Gebiet der Wirbellosen-Augen, ist beunruhigt, und ich bin es auch. Liegt es daran, daß »aufgrund der Art und Weise«, wie Nau tilus-Embryos sich entwickeln, die notwendigen Mutationen nicht entstehen können? Ich möchte das nicht glauben, aber ich finde keine bessere Erklärung. Nautilus unterstreicht jedenfalls das Argument, daß ein linsenloses Auge besser ist als gar keins.
Wenn mein Auge eine Mulde ist, so stellt fast jedes ungefähr konvexe, mehr oder weniger transparente oder lichtdurchlässige Material über seiner Öffnung eine Verbesserung dar, und zwar wegen seiner leicht linsenähnlichen Eigenschaften. Es sammelt Licht auf seiner Fläche und konzentriert es auf eine kleinere Fläche, die Retina. Ist erst einmal eine solch grobe Kameralinse da, so haben wir eine kontinuierlich abgestufte Reihe von Verbesserungen, die das überspannende Material verdickt und durchsichtiger und weniger verzerrend macht, wobei der Trend in etwas gipfelt, was wir alle als echte Linse erkennen würden. Die zehnarmigen Tintenfische und Kraken, Verwandte von Nautilus, besitzen eine echte Linse, sehr ähnlich der unseren, obgleich ihre Vorfahren mit Sicherheit das ganze Kamera-Augen-Prinzip völlig unabhängig von unserem menschlichen System entwickelten. Nebenbei gesagt: Michael Land nimmt an, daß es neun Grundprinzipien der Bilderzeugung gibt, deren sich das Auge bedient, und daß die meisten von ihnen viele Male unabhängig voneinander durch Evolution entstanden sind. Beispielsweise ist das Prinzip des gekrümmten Teller-Reflektors von unserem eigenen Kameraauge radikal verschieden (wir benutzen es in Radioteleskopen und auch in unseren größten optischen Teleskopen, denn ein großer Spiegel ist leichter herzustellen als eine große Linse), und es ist von mehreren Weichtieren und Krustentieren unabhängig voneinander »erfunden« worden. Andere Krustentiere besitzen ein Facettenauge wie Insekten (einen Komplex aus einer Unmenge winziger Augen), während andere Weichtiere, wie wir gesehen haben, ein Kamera-Auge mit Linse wie das unsrige oder ein Lochkamera-Auge besitzen. Für jeden dieser Augentypen existieren den evolutionären Zwischenformen entsprechende Stadien als funktionierende Augen bei anderen rezenten Tieren.
Die Propaganda gegen die Evolutionstheorie ist voller angeblicher Beispiele komplexer Systeme, die »unmöglich« eine graduelle Reihe von Zwischenstufen »durchlaufen haben können«. So etwa lautet ein weiteres, häufiges, recht pathetisches »Argument aus persönlichem Unglauben«, dem wir in Kap. 2 begegnet sind. Gleich nach dem Abschnitt über das Auge wird in The Neck of the Giraffe z. B. der Bombardierkäfer erörtert, der »seinem Feind eine tödliche Mischung aus Hydrochinon und Wasserstoffsuperoxyd ins Gesicht spritzt. Zusammengemischt, explodieren diese beide Chemikalien im wahrsten Sinne des Wortes. Daher hat der Bombardierkäfer, damit er sie in seinem Körper lagern kann, einen chemischen Hemmstoff entwickelt, der sie harmlos macht. In dem Augenblick, in dem der Käfer die Flüssigkeit aus seinem Körperende herausspritzt, wird ein Antihemmstoff zugefügt, um die Mischung wieder explosiv zu machen. Die Kette von Ereignissen, die zur Evolution eines solch komplexen, koordinierten und empfindlichen Prozesses geführt haben könnte, liegt jenseits aller biologischen Erklärungen mittels einfacher schrittweiser Entwicklung. Die geringfügigste Änderung in dem chemischen Gleichgewicht würde unverzüglich zu einer Rasse explodierter Käfer führen.«
Ein Kollege, der Biochemiker ist, war so freundlich, mir eine Flasche Wasserstoffsuperoxyd und ausreichend Hydrochinon für 50 Bombardierkäfer zur Verfügung zu stellen. Ich werde die zwei nun zusammenmischen. Wenn das stimmt, was oben gesagt wurde, werden sie mir ins Gesicht explodieren. Also gut ... Na fein, ich bin immer noch da. Ich habe das
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