Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
bis auf die andere Seite wandert. Der junge Fisch läßt sich auf den Boden nieder, beide Augen nach oben gerichtet, ein sonderbarer, an Picasso erinnernder Anblick. Übrigens lassen sich einige Plattfischarten auf die rechte Seite nieder, andere auf die linke und wieder andere unregelmäßig auf eine der beiden Seiten.
Der ganze Schädel eines Plattfisches behält den gedrehten und gewundenen Beweis seines Ursprungs bei. Eben gerade seine mangelnde Vollkommenheit ist ein machtvolles Zeugnis seiner vorzeitlichen Geschichte, einer Geschichte der schrittweisen Veränderung und nicht eines bewußten Entwurfs. Kein vernünftiger Planer hätte eine solche Monstrosität erdacht, wenn er in eigener Verantwortung auf einem leeren Zeichenbrett einen Plattfisch hätte schaffen sollen. Ich argwöhne, die meisten vernünftigen Planer würden im Sinne eines mehr rochenartigen Tieres denken. Aber die Evolution beginnt niemals auf einem leeren Zeichenbrett. Sie muß mit dem beginnen, was bereits vorhanden ist. Im Fall der Vorfahren der Rochen waren es freischwimmende Haie. Haie sind im allgemeinen nicht seitlich abgeflacht wie freischwimmende Knochenfische, z. B. Heringe. Wenn überhaupt, so sind Haie bereits leicht von oben nach unten abgeflacht. Das bedeutet: Als in der Vorzeit einige Haie zum ersten Mal auf dem Meeresboden zu leben begannen, führte eine leichte, glatte Progression zur Form des Rochen, und bei gegebenen Meeresbodenbedingungen war jeder flachere Zustand eine leichte Verbesserung gegenüber seinem geringfügig weniger flachen Vorfahren.
Als sich andererseits der freischwimmende Vorfahr von Seezunge und Heilbutt, der wie ein Hering vertikal von einer Seite zur anderen abgeflacht war, auf den Meeresboden begab, tat er besser daran, sich auf eine Seite zu legen, anstatt unsicher auf der messerschneideähnlichen Kante seines Bauches herumzubalancieren. Obwohl sein evolutionärer Pfad ihn letzten Endes zu den komplizierten und wahrscheinlich kostspieligen Verdrehungen führen mußte, die mit der Verlegung von zwei Augen auf eine Seite zu tun haben; obgleich letzten Endes die Art, wie der Rochen flach ist, der beste Entwurf auch für einen Knochenfisch gewesen sein könnte, waren die möglichen Zwischenstadien entlang dieses Evolutionspfades kurzfristig anscheinend weniger erfolgreich als ihre auf der Seite liegenden Konkurrenten. Die auf der Seite liegenden Rivalen waren damit kurzfristig viel besser an den Boden angepaßt. Im genetischen Hyperraum existiert eine glatte Bahn, die freischwimmende urzeitliche Knochenfische mit auf der Seite liegenden und verdrehte Schädel habenden Plattfischen verbindet. Es gibt keine glatte Bahn, die diese Knochenfischvorfahren mit auf dem Bauch liegenden flachen Fischen verbindet. (Allerdings gibt es einige Knochenfische, bei denen sich die Flachheit auf die symmetrische Art der Rochen entwickelt hat. Vielleicht waren ihre freischwimmenden Vorfahren bereits aus irgendeinem Grund horizontal abgeflacht.)
Mein zweites Beispiel eines evolutionären Fortschritts, der wegen unvorteilhafter Zwischenstadien nicht stattfand, betrifft die Retina unserer Augen (und die aller Wirbeltiere). Wie jeder Nerv ist der Augennerv ein Kabelstrang, ein Bündel getrennter »isolierter« Drähte, in diesem Fall von ungefähr drei Millionen Drähten. Jeder dieser drei Millionen Drähte führt von einer Zelle auf der Retina zum Gehirn. Man kann sie sich vorstellen als die Drähte, die von einer Bank mit drei Millionen Photozellen (tatsächlich drei Millionen Relaisstationen, die die Information aus einer sogar noch größeren Zahl von Photozellen sammeln) zum Computer führen, der die Information im Gehirn zu verarbeiten hat. Sie sind, von allen Orten der Retina kommend, in einem einzigen Bündel zusammengefaßt, dem Sehnerv des Auges.
Jeder Ingenieur würde selbstverständlich annehmen, daß die Photozellen auf das Licht hin ausgerichtet sind und daß ihre Drähte nach hinten zum Gehirn führen. Er würde lachen, wollten wir ihm vorschlagen, die Photozellen vom Licht abzuwenden und ihre Drähte an der dem Licht am nächsten gelegenen Seite anzuschließen. Doch genau dies ist bei allen Wirbeltier-Retinas der Fall. Jede Photozelle ist tatsächlich nach vorn verdrahtet, und der Draht führt auf der dem Licht am nächsten gelegenen Seite heraus. Der Draht muß über die Oberfläche der Retina bis zu einem Punkt laufen, wo er durch ein Loch in der Retina (dem sogenannten blinden Punkt) hindurchführt, um sich
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