Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
selbst verdauen, sondern zu Kompost verarbeiten, auf dem sie freßbare Pilze kultivieren. In beiden Fällen wachsen die Pilze nirgendwo anders als in den Nestern von Ameisen bzw. Termiten. Die Gewohnheit, Pilze zu züchten, ist unabhängig und konvergent (mehr als einmal) auch von mehreren Käferarten entdeckt worden.
Ebenso gibt es interessante Konvergenzen unter den Ameisenarten. Obwohl die meisten Ameisenkolonien in einem feststehenden Nest ein ruhiges Leben führen, scheinen sie auch erfolgreich leben zu können, wenn sie in großen plündernden Armeen herumziehen. Es ist offensichtlich, daß alle Ameisen herumlaufen und Futter suchen, aber die meisten Arten kehren mit ihrer Beute zu einem festen Nest zurück, wo Königin und Brut gewartet haben. Der Schlüssel für die Gewohnheit des ständigen Herumwanderns andererseits liegt darin, daß die Armeen Königin und Brut mit sich herumschleppen. Eier und Larven werden von den Arbeitern im Kiefer getragen. In Afrika sind es die sogenannten Treiberameisen, die das Herumzigeunern entwickelt haben. In Zentral- und Südamerika sind die parallelen Wanderameisen den Treiberameisen in Gewohnheiten und Erscheinen außerordentlich ähnlich. Sie sind aber nicht besonders nahe verwandt. Sie haben die Charakteristika der »Nomaden«-Nische ganz gewiß unabhängig voneinander und konvergent entwickelt.
Alle nomadischen Ameisen leben in außergewöhnlich großen Kolonien, die bei Wanderameisen bis zu einer Million, bei Treiberameisen bis zu etwa 20 Millionen Individuen zählen. Bei beiden wechseln Nomadenphasen mit »stationären« Phasen in relativ stabilen Lagern oder »Biwaks« ab. Wander- wie auch Treiberameisen, oder vielmehr ihre Kolonien als amöbenartige Einheiten zusammengenommen, sind beide erbarmungslose und schreckliche Räuber in ihrem jeweiligen Dschungel. Beide zerlegen alle Kleintiere, die sie auf ihrem Weg finden, in Stücke, und beide haben in ihrem jeweiligen Land ein Terrorimage erworben. Dorfbewohner in Teilen Südamerikas erzählen, daß sie von alters her gewöhnt sind, ihre Dörfer, mit allem Drum und Dran, zu verlassen, wenn eine große Ameisenarmee sich nähert, und zurückkehren, wenn die Legionen durchmarschiert sind und jede Schabe, jede Spinne und jeden Skorpion weggeputzt haben, sogar aus den Strohdächern. Ich erinnere mich, daß ich als Kind in Afrika mehr Angst vor Treiberameisen hatte als vor Löwen oder Krokodilen. Es ist der Mühe wert, diesen furchtbaren Ruf mit einem Zitat von Edward O. Wilson, der größten Autorität auf der Welt in Ameisenfragen und Autor des Werkes Sociobiology, in die richtige Perspektive zu rücken:
»Auf die eine Frage, die mir am häufigsten zu Ameisen gestellt wird, kann ich folgendes antworten: Nein, Treiberameisen sind nicht wirklich der Terror des Dschungels. Zwar ist die Treiberameisenkolonie ein >Tier<, das mehr als 20 Kilo wiegt und etwa 20 Millionen Mäuler und Stachel besitzt und das mit Gewißheit die schreckenerregendste Schöpfung der Insektenwelt ist, doch es reicht nicht an die fürchterlichen Geschichten heran, die darüber erzählt werden. Schließlich kann der Schwarm nicht schneller vorwärtsziehen als einen Meter in drei Minuten. Jede tüchtige Buschmaus, von Mensch oder Elefant ganz zu schweigen, kann einen Schritt beiseite tun und sich die ganze Graswurzelraserei in Ruhe betrachten; als Gegenstand weniger der Bedrohung, sondern eher der Seltsamkeit und Verwunderung, als den Gipfel einer Evolutionsgeschichte, die von der der Säugetiere so verschieden ist, wie man es sich in dieser Welt nur vorstellen kann.«
Als Erwachsener in Panama habe ich mir das Gegenstück der Treiberameise in der Neuen Welt betrachtet, die ich als Kind in Afrika gefürchtet hatte. Die Ameisen flossen an mir vorbei wie ein knisternder Fluß, und ich kann Zeugnis ablegen für Sonderbarkeit und Wunder. Stunde um Stunde marschierten die Legionen vorbei, sie gingen ebensoviel über Körper ihrer Soldatenkollegen wie über den Boden, während ich auf die Königin wartete. Schließlich kam sie, und ihr Auftritt war furchterregend. Sie erschien als eine sich bewegende Welle rasender Arbeiterinnen, eine kochende peristaltische Kugel aus Ameisen mit miteinander verflochtenen Armen und Beinen. Ihren Körper zu sehen war unmöglich. Sie war irgendwo in der Mitte der brodelnden Kugel aus Arbeitern, während überall um sie herum massierte Truppen drohend nach außen blickten, mit aufgerissenen Kiefern, jeder einzelne Soldat bereit,
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