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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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nicht mehr lange dauern, bis er wie wir anderen laufen muss. Neulich hielt ein schwarzer Mercedes am Straßenrand, General Muñoz Grandes stieg aus und aß mit uns zu Mittag. Pablito und die guripas waren in heller Aufregung. Der General inspiriert uns – er ist einer der wenigen Befehlshaber, die wissen, wie es ist, ein gemeiner Soldat zu sein.

    16. September, Minsk
    Pablito sagt, dass es außerhalb der Stadt ein Gelände gibt, wo die russischen Kriegsgefangenen untergebracht sind. Sie bekommen kein Essen. Die Einheimischen werfen über den Zaun, was sie nur können, und werden für ihre Mühe erschossen. Pablito ist glücklich – seine Anna ist in Minsk aufgetaucht. Ich bin glücklich, weil gestern Kichererbsen und Olivenöl eingetroffen sind.
    Es ist schon kalt. Herbst liegt in der Luft.

    9. Oktober 1941, Nowossokolniki
    Wir sitzen außerhalb von Welikije Luki fest – Partisanen haben die Gleise gesprengt. Zum Ausgleich plündern wir die Stadt und grillen am Ende tote Pferde über den Holzkohlegruben bei den Gleisen. Wir singen Lieder und trinken Kartoffelschnaps. Pablito, der seine Anna vermisst, singt sehr schön. Flamenco in der Steppe.

    10. Oktober 1941, Dno
    Wir werden ausgeladen, um in einen Zug mit anderer Spurbreite umzusteigen. An einem Laternenpfahl hängt eine alte Frau. Partisanin. Die guripas sind entsetzt: »Was ist das für ein Krieg?«, fragt einer von ihnen, als wüsste er nicht, was vor drei Jahren in seinem eigenen Land passiert ist.
    Nächster Halt ist Nowgorod und die Front. Ab jetzt beziehen wir Schlachtensold. Die Roten haben die Lufthoheit. Die Vorräte sind knapp. Partisanen. Und kein Pablito – er ist nicht zum Abendessen erschienen.

    11. Oktober 1941, Dno
    Hier herrscht Besatzungsrecht, und ich muss eine deutsche Patrouille begleiten, die jedes Haus nach Pablito durchsucht. Wir finden ihn nicht. In einem Haus entdecke ich zu meiner Überraschung Anna, die mit einigen russischen Zivilistinnen arbeitet. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie so weit gekommen ist. Auf der Straße sage ich das dem deutschen Unteroffizier, und zwei Männer gehen zurück ins Haus und zerren sie nach draußen. Die anderen Frauen fangen an zu kreischen, und die Deutschen schlagen sie mit ihren Gewehrkolben, bis sie still sind. Dann zwingen sie Anna, auf der Straße zu knien, und fragen sie nach Pablito. Sie leugnet alles, weiß jedoch, warum sie ausgewählt wurde. Der Unteroffizier, ein brutaler Koloss, zieht seine Handschuhe aus und schlägt ihr mit der flachen Hand vier Mal so heftig ins Gesicht, dass ihr Kopf wegsackt wie der einer zerrissenen Puppe. Sie bringen sie in ein ausgebranntes Haus auf der anderen Straßenseite. Annas Kopftuch löst sich, und ihr blondes Haar fällt über ihren Rücken. Die Männer murmeln. Der Unteroffizier hat ein Gesicht wie ein Panzer. Der graue Nachmittag wird noch trostloser. Die Temperatur sinkt. Weitere Fragen werden gestellt, doch sie leugnet weiter. Sie ziehen sie nackt aus. Ihre Haut ist blau und weiß. Sie schluchzt vor Kälte und Angst. Sie verdrehen ihr die Arme auf den Rücken und heben sie hoch. Sie schreit. Der Unteroffizier verlangt nach einem Bajonett, mit dessen Klinge er gegen ihre harten Brustwarzen schlägt, und das bricht sie. Das Grauen des kalten Stahls. Sie erzählt, dass man sie gezwungen hat, Pablito in einen Hinterhalt der Partisanen zu locken. Sie darf sich wieder anziehen, und die Patrouille nimmt alle Frauen mit. Ich kehre zu unserem Lager zurück und erstatte Major Pérez Pérez Bericht.

    12. Oktober, 1941, Dno
    Am Morgen befiehlt Leutnant Martínez mir, ein elfköpfiges Erschießungskommando zusammenzustellen. Zwei kommunistische Partisanen und Pablitos Polin sind uns zur Hinrichtung überstellt worden. Wir postieren sie vor eine Mauer im Güterbahnhof. Das Mädchen kann nicht stehen, und es gibt auch keine Pfähle, an die man sie binden könnte. Leutnant Martínez befiehlt den beiden Männern, sie zu stützen. Sie stellen sich auf wie zu einem Familienfoto. Leutnant Martínez geht zu uns Kommando zurück und ruft: »Carguen!«, »Apunten«, und bei dem Wort »Fuego« blickt sie auf. Ich schieße ihr in den Mund.
    Später am Tag findet eine Patrouille den an einem Baum hängenden Pablito. Er ist nackt, seine Augen sind herausgedrückt und seine Genitalien abgeschnitten worden. Wir haben eine Beerdigungsmesse für ihn gefeiert. Unser erstes Opfer, Pablito, der Anti-Kommunist, der starb, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern.

    13. Oktober

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