Der Blinde von Sevilla
jedoch zu sehr nach Invasion aussehen würde. Wir werden nach Russland geschickt, um die Deutschen zu beruhigen und es so aussehen zu lassen, als stünden die Spanier auf ihrer Seite. Die Zeitung erklärt, dass Stalin der eigentliche Feind sei, ohne unseren Kriegseintritt zu erwähnen. Es geht um politische Spielchen, und wir stecken mittendrin. Ich habe das Gefühl, dass die ganze Expedition unter keinem guten Stern steht, doch jenseits der Hafenmauer treffen wir einen Schwarm Delphine, der uns fast bis nach Algeciras begleitet – ein gutes Omen.
10. Juli 1941, Sevilla
Wir sind in der Pineda-Kaserne im Süden der Stadt einquartiert und durften einen Abend in Sevilla verbringen. Wir haben kein einziges Glas selbst bezahlt. Als einige von uns das letzte Mal hier waren, haben sie die Menschen in Triana auf offener Straße abgeschlachtet. Jetzt sind wir Helden, die losgeschickt werden, den Kommunismus zurückzudrängen. In menschlichen Beziehungen sind fünf Jahre eine Ewigkeit.
Trotz der brutalen Hitze mag ich Sevilla. Die dunklen, kühlen Kneipen. Die Menschen haben ein kurzes Gedächtnis und ein großes Bedürfnis, ihre Lebensfreude auszudrücken. Ich glaube, dies ist eine Stadt, in der man leben kann.
18. Juli 1941, Grafenwöhr, Deutschland
Bei Hendaye in Südfrankreich haben wir die Züge gewechselt. Die Franzosen haben uns mit den Fäusten gedroht und unsere Waggons bei der Durchfahrt mit Steinen beworfen. Bei unserem ersten Halt in Deutschland war der Karlsruher Bahnhof voller jubelnder Menschen, die »Deutschland, Deutschland über alles« gesungen haben. Sie haben den Zug mit Blumen überschüttet. Jetzt sind wir irgendwo nordöstlich von Nürnberg. Das Wetter ist grau. Die neuen Rekruten und die meisten der guripas , der normalen Soldaten, sind deprimiert vor Heimweh. Wir Veteranen hingegen sind deprimiert, weil man uns gerade erklärt hat, dass die División Azul, wie wir genannt werden, nicht mit LKWs, sondern mit Pferdewagen transportiert werden soll.
8. August 1941
Pablito hat ein blaues Auge und eine aufgeplatzte Lippe. Er mag die Deutschen genauso wenig wie die Kommunisten, die er noch gar nicht getroffen hat. Die guripas tragen statt der vorgeschriebenen deutschen Uniform lieber ihre blauen Hemden und roten Barette. Im Ratskeller des Dorfes ist ein Streit ausgebrochen. »Sie sagen uns, wir würden nicht anständig mit unseren Waffen umgehen«, berichtet Pablito. »Aber der eigentliche Grund ist, dass wir all ihre Frauen ficken, und die es noch nie so gut besorgt gekriegt haben.« Ich weiß nicht, ob wir uns je mit unseren neuen Verbündeten arrangieren werden. Das Essen stinkt übler als die Latrinen, ihr Tabak raucht sich wie Heu, und es gibt keinen Wein. Während Oberst Esperanza einen Studebaker President bekommen hat, hat man uns mit 6000 Pferden aus Serbien ausgestattet. Eigentlich würden wir zwei Monate brauchen, nur um die Tiere abzurichten, doch Ende des Monats geht es an die Front. Pablito hat gehört, dass wir auf Moskau marschieren sollen, doch ich bemerke, wie die Deutschen uns ansehen. Sie legen großen Wert auf Disziplin, Gehorsam und Ordnung. Unsere geheime Waffe hingegen ist unsere Leidenschaft, doch sie ist so geheim, dass sie sie nicht sehen können. Erst in der Schlacht werden sie die Flamme erkennen, die in jedem guripa lodert. Wenn unser Schlachtruf »A mí la legión« ertönt, bebt die Erde, und wir rammen die Russen ungespitzt in den sibirischen Boden.
27. August 1941, irgendwo in Polen
Unser Ruf in Bezug auf die einheimischen Frauen eilt uns voraus. Man hat uns jeden Umgang mit polnischen und jüdischen Frauen verboten – Letztere erkennt man an den gelben Sternen, die sie tragen müssen. Wir haben gehört, dass die 262 Mann der 10. Kompanie aus Protest mit aufgeblasenen Kondomen an ihren Gewehren einmarschiert sind.
2. September 1941, Grodno
Auf dem Marsch nach Grodno sehen wir erste Spuren der Schlacht … die Randbezirke der Stadt sind dem Erdboden gleichgemacht worden. Die Stadtmitte ist voller Trümmer, die die Juden beiseite räumen müssen. Sie wirken erschöpft, weil ihre Essensrationen so mickrig sind. Pablitos Haltung gegenüber den Deutschen wird von Tag zu Tag feindseliger. Mittlerweile findet er sie unheimlich. Ein Marsch an die Front soll uns abhärten. Pablito hat sich in eine blonde Polin mit grünen Augen verliebt. Sie heißt Anna.
12. September 1941, Oschmjany
Oberst Esperanzas Studebaker hat auf den Straßen einiges abgekriegt. Es kann
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