Der Blinde von Sevilla
nächsten Tag abgekriegt, gefolgt von einem Frontalangriff der Roten. Sie stürmten mit einem ohrenbetäubenden »Urrah!« los und riefen dann etwas, was sich beim Näherkommen als »Ispanskii kaput!« herausstellte. Unsere Artillerie hat sie zerrieben, den Rest haben wir niedergemäht wie Weizen. Sie haben sich neu formiert und uns am Abend wieder angegriffen. Wir haben sie auf der schneebedeckten Ebene unter träge fallenden Flocken zurückgeschlagen, hinter ihren Rücken der tiefschwarze Wald. Unwirklich. Und vor dem Getümmel war die Nacht so still. Wir haben Granaten geworfen und sind dann mit Bajonetten nachgerückt. Die Roten haben sich zerstreut. Als sie wieder in dem schwarzen Wald verschwanden, riefen unsere neuen Rekruten ihnen nach: »Otro toro! Otro toro!«
5. Dezember 1941
Ich bin zurück an der Front, nachdem ich wegen einer Fleischwunde im Feldlazarett versorgt werden musste. Dorthin will ich nie mehr zurück. Nicht einmal die Kälte konnte den Gestank lindern; sie hat ihn vielmehr dauerhaft in meiner Nase festgefroren.
Die Kälte hat eine neue Dimension erreicht: -35 Grad. Wenn Männer vor Hitze sterben, werden sie verrückt, fangen an, wirr zu reden, weil ihr Verstand durchdreht. In der Kälte treiben sie einfach wortlos davon. Eben waren sie noch da, haben vielleicht an einer Zigarette gezogen, und im nächsten Moment sind sie weg. Männer sterben, weil die Hirnflüssigkeit unter ihren Helmen gefriert. Ich bin froh, dass ich die Pelzmütze habe. Nachdem die Temperaturen so tief gefallen sind, haben die Russen angefangen, mit uns zu reden, wobei sie die Republikaner als Dolmetscher benutzen. Sie versprechen uns Wärme, Essen und Unterhaltung. Wir sagen ihnen, sie sollen ihre verhurten Mütter ficken.
28. Dezember 1941
Heiligabend in klirrender Kälte. Die Männer sagen Gedichte auf und singen Lieder über Spanien – die Hitze, die Pinien, die Küche der Mutter und die Frauen. Die Russen sind gnadenlos und greifen auch Weihnachten an. Die schiere Zahl der Männer, die sie uns entgegenwerfen, ist erschreckend. Wir haben von ihren Strafbataillonen gehört. Politisch Unerwünschte werden in unser Gewehrfeuer geschickt. In drei bis vier Reihen hintereinander vorrückend, fallen sie, bevor die echten Soldaten, ihre Leichen als Deckung benutzend, vorstürmen. Wir sind am gottlosesten Ort dieser Erde, sehen kaum das Tageslicht, dafür überall um uns herum Tod und Zerstörung. Aus Udarnik im Norden unseres Sektors werden Gräueltaten gemeldet – man hat mit Eispickeln an den Boden genagelte guripas gefunden. Unsere Wut verdampft mit der Kälte und dem Hunger.
18. Januar 1942, Nowgorod
Die Russen wittern unsere Schwäche und greifen an, als wir denken, dass es so kalt ist, dass wir uns nie wieder bewegen werden. Zur Unterstützung der Deutschen werden wir nach Teremez geschickt und versuchen dort, die endlosen Wellen russischer Angriffe mit unseren alten afrikanischen Tricks zu entmutigen. Wir ziehen unseren Gefangenen alle brauchbaren Kleidungsstücke aus, schneiden ihnen den Zeigefinger und ein Ohr ab, spalten ihre Nase und schicken sie zurück. Es zeigt keine Wirkung. Am nächsten Tag bestürmen sie uns erneut mit Knüppeln und Bajonetten. Ich hatte Glück, lebend aus Teremez herauszukommen, und habe es nur geschafft, weil ich mit einem gebrochenen Bein in die Etappe verlegt wurde.
17. Juni 1942, Riga
Nach einer akuten Lungenentzündung gab es Komplikationen mit meinem Bein. Ich war transportunfähig und habe das Bataillon verpasst, das im Frühjahr zurückgekehrt ist. Man hat das Bein neu geschient. Ich habe Typhus bekommen. Die Wunde wollte nicht verheilen. Fünf Monate lang habe ich kaum mitbekommen, was mit mir passierte. Der neue Kommandant der 269. Oberstleutnant Cabrera, hat mich besucht und aufgefordert, mit der neu bemannten »Tía Bernarda«, wie der Spitzname meiner Einheit lautet, an die Front zurückzukehren. Der Kriegsverlauf hat sich zugunsten der Deutschen gewendet, die jetzt wieder das gesamte Gebiet westlich des Wolchow kontrollieren und beginnen, einen Ring um Leningrad zu schließen.
9. Februar 1943
Heute hat uns ein ukrainischer Deserteur mehr über die Geschehnisse in Kolpino erzählt, als wir wissen wollten. Hinter der Stadt sind gewaltige Batterien in Stellung gebracht worden, hunderte von LKW entladen Geschosse. Nach dem langen Warten wollten wir ihm nicht glauben, doch er zeigte uns seine saubere Unterwäsche, und das war genug. Vor einem Angriff geben die
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