Der Blinde von Sevilla
weitere von seinem Arzt, der ihn fragte, warum er seinen Termin nicht eingehalten hatte. Er rief Dr. Valera an und erzählte ihm von den Bildern seines Vaters im Wartezimmer.
»Ist dir schon einmal der Gedanke gekommen, dass das etwas ist, worüber du reden solltest, Javier?«
»Nein«, antwortete er, »aber wenn, würde ich nicht mit jemandem reden wollen, der …«
»Der was?«, fragte Valera.
»Der meinen Vater zu kennen glaubt.«
»Du musst diesen Leuten schon etwas mehr Intelligenz zutrauen …«
»Muss ich das?«, fragte Falcón. »Du warst nie bei seinen Vernissagen.«
»Es könnte schwierig für dich werden, jemand Passendes zu finden«, sagte Valera. »Er war ein sehr berühmter Mann.«
»Aber nicht jeder interessiert sich für Kunst.«
Sie beendeten das Gespräch, und Falcón ging nach oben in Lobos Büro. Dieser nahm die Fotokopien entgegen und betrachtete sie mit dem Blick eines Mannes, der sich anschickt, kleine Kinder zu fressen. Er fragte Falcón, wie er auf die Unterlagen gestoßen war.
»Von allen Unternehmen, die direkt am Bau der Expo ’92 beteiligt waren, war MCA das einzige, das aufgehört hatte zu existieren. Ich habe Inspector Pérez gebeten …«
»Sie wissen, dass Pérez und Ramírez seit Jahren befreundet sind?«, unterbrach Lobo ihn.
»Mir ist aufgefallen, dass sie miteinander reden.«
»Wie relevant ist das für die Ermittlung?«
»Mit der Ermordung von Eloisa Gómez hat der Fall eine neue Wendung genommen«, sagte Falcón. »Eine schal gewordene Geschäftsverbindung mag anfangs als Motiv in Frage gekommen sein, doch inzwischen gehe ich davon aus, dass der Mörder alleine handelt.«
»Ich habe gehört, dass Ramírez das anders sieht und Juez Calderón auch.«
»Ich habe Inspector Ramírez alleine zu einer Vernehmung von Señora Jiménez losgeschickt. Er wird sicher ganz anders vorgehen als ich. Wir werden sehen, ob er dann zufrieden ist oder nicht«, erklärte Falcón. »Und was Juez Calderón betrifft, so glaube ich, dass er für alle Möglichkeiten offen ist. Señora Jiménez weiter als Hauptverdächtige zu betrachten ist für ihn eine eher pragmatische Entscheidung.«
»Und Ramírez geht Ihrer Meinung nach da weniger pragmatisch vor?«
»Señora Jiménez ist genau der Typ Frau, den Inspector Ramírez verachtet. Ich glaube, sie verkörpert eine Veränderung in der allgemeinen Ordnung der Dinge, für die er einfach noch nicht bereit ist.«
Lobo nickte und wandte sich wieder den Unterlagen zu.
»Mit wem auf dieser Liste könnten Sie privat reden?«, fragte er.
»Mit Ramón Salgado, doch der ist bis zum Ende der Woche verreist. Seit unserer Begegnung auf dem Friedhof versuche ich, ihn zu erreichen. Er hat mir Informationen über Raúl Jiménez angeboten.«
»Was für Informationen?«
»Unregelmäßigkeiten in ihrer exklusiven Welt.«
»Gibt es irgendeinen Grund, ihm zu glauben?«, fragte Lobo. »Um auf dieser Liste zu stehen, muss er allermindestens ein Freund von Raúl Jiménez gewesen sein.«
»Ich habe gewisse Zweifel, was ihn angeht.«
»Und was kostet Sie diese Information?«
»Zugang zum Studio meines Vaters«, sagte Falcón und erinnerte sich an sein Gespräch mit Consuelo Jiménez. »Salgado und Señora Jiménez kennen sich. Sie hat sich nur ausweichend über ihre Beziehung geäußert. Sie behauptet, sie hätten sich eines Abends im Haus meines Vaters kennen gelernt, aber vielleicht geht ihre Bekanntschaft noch weiter zurück. Sie gehörte der Kunstszene von Madrid an, in der sich auch Salgado bewegt hat.«
»Ich denke, Sie müssen mit Salgado reden, aber von Angesicht zu Angesicht«, meinte Lobo. »Und das Wissen um diese Dokumente bleibt unter uns … haben Sie verstanden?«
Lobo suchte Falcóns Blick und schob die Papiere in seine Schublade, womit Falcón sich für entlassen hielt.
»Ich hatte keine Ahnung, was für ein Politikum Ihre Berufung werden würde«, sagte Lobo zu Falcóns Hinterkopf. »Unsere Gegner haben Stellung bezogen. Wir sind zwar in der Unterzahl, haben jedoch den Vorteil, intelligenter zu sein. Allerdings dürfen wir uns keine moralische Grenzüberschreitung leisten. Ich hoffe, Ihre Vereinbarung mit Salgado ist so, wie Sie sie beschrieben haben.«
Falcón ging direkt zur Toilette und schluckte mit einer Hand voll Wasser eine Orfidal.
Gloria Gómez sah nur geringfügig älter aus als ihre jüngere Schwester, ohne über deren Selbstbewusstsein zu verfügen. Auf der Fahrt zum Instituto Anatómico Forense saß sie, die Arme vor der
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