Der Blinde von Sevilla
einen letzten Versuch, in Erfahrung zu bringen, ob Eloisa irgendetwas über Sergios Aussehen gesagt hatte.
»Sie hat gesagt, er hätte schöne Hände« war alles, was er aus Gloria herausbekam.
Als er in sein Büro kam, klingelte das Telefon. Dr. Fernando Valera hatte eine klinische Psychologin gefunden, die garantiert kein Interesse an Kunst hatte. »Sie heißt Alicia Aguado. Sie wird dich in ihrem Haus empfangen, Javier«, sagte der Arzt und nannte ihm eine Adresse in der Calle Vidrio. »Klinische Psychologie ist ein sehr strenger Ausbildungszweig, und sie hat ihr Fachgebiet durch einige … ungewöhnliche Techniken bereichert. Sie ist sehr gut. Ich weiß, wie schwer es ist, so etwas anzufangen, aber ich möchte, dass du diese Frau triffst. Du bist schon verzweifelt genug. Es ist wichtig.«
Falcón legte auf und dachte, dass wohl jeder seine Verzweiflung sah, sie förmlich witterte – auch Sergio. Ramírez kam herein, setzte sich und streckte die Beine aus.
»Und ist Señora Jiménez zusammengebrochen?«, wollte Falcón wissen.
Ramírez zupfte eine unsichtbare Fluse von seiner Krawatte. »Ich wette, sie trägt teure Unterwäsche«, sagte er dann. »Und im Sommer G-Strings.«
»Wie ich sehe, hat sie Sie für sich eingenommen.«
»Ich habe Pérez bei Mudanzas Triana angerufen und ihm gesagt, er soll den Karton mit der Hobbyfilmer-Ausrüstung mitbringen«, sagte Ramírez. »Sie hat ihn problemlos freigegeben. Aber es dürfte Sie interessieren, was sie noch hinzugefügt hat, als ich gegangen bin.«
Falcón bedeutete ihm, weiterzusprechen.
»Sie hat gesagt: ›Nehmen Sie diesen Karton und nur diesen. Wenn Sie jedoch auch nur einen Blick in eine der anderen Kisten werfen, können Sie davon ausgehen, dass nichts davon vor Gericht als Beweismaterial zugelassen wird.‹«
Falcón forderte ihn auf, das zu wiederholen; beim zweiten Mal war er sich sicher: Ramírez log – und zwar schlecht. Falcón bezweifelte, dass Consuelo Jiménez so wenig subtil gewesen war.
»Was ist mit der Datierung der Aufnahmen auf dem Familia-Jiménez- Video?«
»Sie hat gesagt, dass sie es sich ansehen wird, zurzeit jedoch sehr beschäftigt ist und erst nach der Feria dazu kommt.«
»Sehr hilfreich.«
»Es ist nicht leicht, wenn man einen so schweren Verlust erlitten hat«, sagte Ramírez.
20
Mittwoch, 18. April 2001, Falcóns Haus,
Calle Bailén, Sevilla
Falcón saß zu Hause, und während seine Gabel über dem unangerührten Mittagessen schwebte, dachte er an Comisario León, der seine Position bestimmt nicht ohne beträchtliches politisches Talent erreicht hatte. Wenn der Comisario sich durch Ramírez über den Stand der Ermittlungen auf dem Laufenden hielt und es zuließ, dass ein derartiger Druck auf Consuelo Jiménez ausgeübt wurde – die vermutlich nichts von MCA wusste –, was bedeutete das in Anbetracht der Tatsache, dass der Comisario selbst Direktor der Beratungsfirma gewesen war? Eine Welle aus Paranoia und Übelkeit überrollte Falcón und ließ ihn erschauern. Sie würden ihn bei der ersten sich bietenden Gelegenheit kaltstellen. Solange die Einzelheiten über MCA im Verborgenen schlummerten, hatte Comisario León überhaupt nichts dagegen, dass sie weiter an Consuelo Jiménez’ schwere Tür pochten. Wenn sie hingegen durchsickerten, war er erledigt.
Nach dem Mittagessen versammelte sich die gesamte Truppe, um einige von Raúl Jiménez’ privaten Filmen anzuschauen. Pérez, der den Karton von Mudanzas Triana mitgebracht hatte, gesellte sich zu ihnen. Er berichtete außerdem, dass das Lager nur einen Eingang hatte und alle langfristig eingelagerten Sachen in einem Bereich auf der Rückseite des Gebäudes aufbewahrt wurden. Jeder Kunde hatte einen abschließbaren Verschlag für Kisten und Möbel. Alle Packkartons waren mit Klebeband verschlossen, das jeweils aus der Zeit der Einlagerung stammte, sodass es sofort auffallen würde, wenn jemand sie geöffnet hätte. Raúl Jiménez’ Sachen gehörten zu den ältesten eingelagerten Stücken. Alle Mitarbeiter von Mudanzas Triana hatten Zugang zu dem Lager, aber nur der Lagerverwalter hatte die Schlüssel zu den einzelnen Verschlägen. Da sie in dem Safe in seinem Büro aufbewahrt wurden, konnte die Verschläge in seiner Abwesenheit niemand betreten. Nachts wurde das Lager von zwei Wachmännern kontrolliert. In den letzten 40 Jahren waren insgesamt vier Einbrüche gemeldet worden, bei denen nichts Substanzielles gestohlen worden war, weil die Einbrecher jedes Mal
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