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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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nicht vorstellen kann, dass sie sich je ins La Mar Chica verirren würde.
    Sie bittet mich, meine Arbeiten sehen zu dürfen, was ich zunächst höflich ablehne, bevor ich ihrem Druck doch nachgebe. P. steht gebannt vor den einfarbigen Formen und Mustern, während ihre Mutter auf der Suche nach etwas, was sie verstehen kann, ungeduldig umherstreift. Schließlich entscheidet sie sich für das Bild eines Tuareg, das zumindest ein wenig Farbe aufweist. Ich signiere es, schenke es ihr und bitte sie, ein Porträt ihrer Tochter malen zu dürfen. Sie sagt, sie wolle die Angelegenheit mit ihrem Mann besprechen.
    Kurz nachdem sie gegangen sind, klopft es heftig an der Tür. Es ist Ahmed, der junge Bursche, der neulich mit C. hier war. Er isst einen Pfirsich, und der Saft ist über seine Wangen verschmiert und tropft von seinem Kinn. Er leckt sich die Lippen, nicht subtil, aber wirkungsvoll. Ich zerre ihn ins Haus und folge ihm zitternd durch die endlosen Räume und Flure. Er begreift etwas von der Dringlichkeit und rennt, wobei sein Gewand von seinen nackten Füßen aufgeworfen wird. Als ich im Schlafzimmer ankomme, liegt sein karamellfarbener Körper schon auf dem Bett. Ich falle auf ihn wie ein einstürzendes Gebäude. Hinterher gebe ich ihm ein paar Peseten, und er geht glücklich davon.

    3. August 1946, Tanger
    Der Arzt hat Vertrauen zu mir gefasst, und P. darf mich allein besuchen, um mir Modell zu sitzen. Die Sitzungen finden nachmittags statt, wenn die Praxis geschlossen ist, und dürfen nicht länger als eine Stunde dauern. Es ist sehr heiß. Wegen des Lichts muss ich in einem der Räume zum Patio hinaus arbeiten. Ich zeichne. Sie sitzt auf einem Holzstuhl. Ich bin ihrem Gesicht ganz nahe, doch sie zuckt nicht mit der Wimper. Erst als ich ihre Hände ansehe, sprechen wir. Sie liegen klein und feingliedrig in ihrem Schoß, zarte Werkzeuge der Lust.
    Ich: Wer hat dir beigebracht zu massieren?
    P.: Warum glauben Sie, dass es mir irgendwer beigebracht hätte?
    Ich: Ich habe den Eindruck, dass das Gefühl in deinen Fingern erlernt und nicht durchs Ausprobieren entstanden ist.
    P.: Wer hat Ihnen beigebracht zu malen?
    Ich: Ich habe ein wenig Nachhilfe in meiner Sicht auf die Dinge bekommen.
    P.: Mich hat eine Zigeunerin in Granada gelehrt.
    Ich: Kommst du von dort?
    P.: Ursprünglich ja. Danach war mein Vater eine Zeit lang Arzt in Melilla, bevor wir hierher gekommen sind.
    Ich: Und dein Vater hat dir den Umgang mit Zigeunern erlaubt?
    P.: Ich bin ziemlich unabhängig, ungeachtet dessen, was meine Eltern Sie vielleicht glauben machen wollen.
    Ich: Du darfst ausgehen?
    P.: Ich mache, was ich will. Ich bin 23 Jahre alt.
    Der Boy kommt mit Pfefferminztee. Wir schweigen wieder. Ich zeichne ihre Hände, dann trinken wir Tee.
    P.: Sie zeichnen figurativ und malen abstrakt.
    Ich: Mit den Zeichnungen lerne ich sehen, um das Gesehene dann mit Farbe zu interpretieren.
    P.: Und was haben Sie heute gesehen?
    Ich: Ich habe die Struktur betrachtet.
    P.: Wie bin ich denn?
    Ich: Zart und kräftig zugleich.
    P.: Wissen Sie, warum ich Sie mag?
    Die Frage lässt mich verstummen.
    P.: Sie haben Kraft und Individualität, aber Sie sind auch verletzlich.
    Ich: Verletzlich?
    P.: Sie haben gelitten, aber in Ihnen steckt noch immer ein kleiner Junge.
    Dieses vertrauliche Gespräch besiegelt etwas zwischen uns. Sie hat mir etwas erzählt, was sie ihren Eltern verschwiegen hat. Sie hat etwas in mir gesehen, was ich nicht geleugnet habe. Aber sie irrt. Ich bin all diese Dinge … bis auf eins … mir fehlt die Individualität … noch.

    10. August 1946, Tanger
    Ich humple wieder mit einem schlimmen Rücken durch die Gegend. Rechts von meiner Wirbelsäule hat sich ein Knubbel gebildet. P. kommt zum Modellsitzen und erkennt mein Problem sofort. Sie verlässt das Haus und kehrt mit ihrer kleinen Holzkiste mit Ölflaschen zurück. Das Schlafzimmer ist tabu. Ich lege mich auf den Boden, und sie versucht, mich von der Seite zu massieren, doch es ist zwecklos. Sie sagt, ich solle die Augen schließen. Ich höre, wie ihr Rock an ihren Beinen hinunterraschelt. Sie hockt sich rittlings über meine Oberschenkel, sodass nur ihre nackten Beine die meinen an der Außenseite berühren. Ich spüre ihre Hitze über mir. Sie knetet den Knubbel in meinem Rücken mit ihren Fingerspitzen, während ich im Boden Wurzeln schlage.
    Als sie mit mir fertig ist, hat der Boden meinen ganzen Körper vereinnahmt. Sie zieht ihren Rock wieder an und sagt mir, ich solle aufstehen.

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