Der Blinde von Sevilla
… Aber das machen sie ja doch nie …«
Falcón stieg mit ihm ins oberste Stockwerk, wo der Polizist bestätigte, dass Tür und Schloss unverändert waren. Der Schlüssel war aus dem Schloss auf den Boden gefallen. Die Tür klapperte in ihrem Rahmen.
Derweil war die Untersuchung der Leiche in Salgados Arbeitszimmer abgeschlossen, und Felipe und Jorge knieten wieder auf dem Boden, um weitere Blutproben zu nehmen. Falcón rief Ramírez an, setzte ihn ins Bild und sagte ihm, er solle Fernández, Serrano und Baena mit nach El Porvenir bringen. Die Befragung sämtlicher Nachbarn, bevor diese zur Arbeit aufbrachen, würde viel Einsatz erfordern.
»Auf der Schreibtischoberfläche des Computers gibt es ein Icon namens Familia Salgado «, sagte Calderón, »und unter der Tastatur liegt eine Karte mit der Aufschrift SEHSCHULE – LEKTION NR. 3.«
Es war bereits nach Mittag, als Calderón schließlich die levantamiento del cadaver unterschrieb. Felipe und Jorge hatten Stunden gebraucht, eine Probe von jedem Blutspritzer zu nehmen, für den Fall, dass einer von ihnen von dem Mörder stammte. Salgado wurde abtransportiert, die Spurensicherung desinfizierte den Raum, der Schreibtischstuhl wurde in Blasenfolie verpackt und ins Labor verfrachtet. Als Falcón, Ramírez und Calderón endlich vor dem iMac Platz nehmen und das Familia-Salgado -Video anschauen konnten, war es schon 12.45 Uhr.
Der Film begann mit wiederholten Aufnahmen von Salgado, der mit einem Aktenkoffer sein Haus verließ und in ein Taxi stieg. Es folgten mehrere Sequenzen, in denen Salgado auf der Plaza Nueva aus einem Taxi stieg und zu seiner Galerie in der Calle Zaragoza ging. Man sah Salgado in einem Café, Salgado in einem Restaurant, Salgado vor der Bar La Company, Salgado beim Schaufensterbummel, Salgado im Corte Inglés.
»Ja und … was will er uns damit sagen?«, fragte Ramírez.
»Dass der Mann viel Zeit allein verbringt«, meinte Calderón.
Die nächste Szene zeigte Salgado vor einer klassischen sevillanischen Haustür aus lackiertem Holz mit kunstvollen Messingbeschlägen. Wieder und wieder sah man ihn vor derselben markanten terrakottafarbenen Fassade mit den gelb abgesetzten Türrahmen und Friesen stehen.
»Wissen wir, wo dieses Haus ist?«, fragte Calderón.
»Ja«, sagte Falcón. »Es ist mein Haus … das Haus meines verstorbenen Vaters. Salgado war sein Agent.«
»Wenn Ihr Vater tot ist«, sagte Calderón und hielt den Film an, »warum kam Salgado dann …?«
»Er hat ständig versucht, Zugang zum Atelier meines Vaters zu bekommen. Er hatte seine Gründe, die er mir nie genannt hat.«
»Waren Sie nie zu Hause, wenn er geklingelt hat?«, fragte Ramírez.
»Manchmal schon, aber ich habe nie aufgemacht. Ich mochte Ramón Salgado nicht. Er hat mich gelangweilt, und ich habe ihn nach Möglichkeit gemieden.«
Calderón ließ den Film weiterlaufen. Salgado stand an einer Kreuzung. Über seinem Kopf war ein Hinweisschild auf das Hotel Paris, und Falcón wusste, dass er auf der Calle Bailén stand und auf das Haus blickte. Schließlich ging Salgado weiter, und die Kamera folgte ihm, während er sich einen Weg über eine von Menschen wimmelnde Straße bahnte. Salgado folgte seinerseits jemandem, doch erst als er auf die Calle Marqués de Paradas kam, erkannten sie, dass es Falcón selbst war, dem Salgado nachlief. Falcón betrat das Café San Bernardo durch den Eingang in der Calle Julio César. Salgado nahm den Eingang an der Calle Marqués de Paradas, und es kam zu ihrer »zufälligen« Begegnung. Die Kamera folgte ihnen sogar in das Café, wo sie an der Bar Platz nahmen und redeten. Der Barkeeper stellte einen café solo für Falcón sowie eine größere Tasse mit Untertasse für Salgado hin und kehrte mit einem Stahltopf heißer Milch zurück. Falcón wich sichtbar zurück, als die Milch in Salgados Tasse gegossen wurde.
»Was war denn da los?«, fragte Ramírez. »Hat er etwas zu Ihnen gesagt?«
»Er hat immer dasselbe gefragt. ›Kann ich nur einen Blick in das Atelier …‹«
»Aber warum sind Sie zurückgewichen, als ob …?«
»Ach, das war nichts, ich mag bloß keine Milch. Eine Allergie oder so was.«
»Jetzt sind wir auf dem Friedhof«, sagte Calderón.
»Das ist die Jiménez-Beerdigung«, sagte Ramírez. »Da unter den Zypressen stehe ich mit der Kamera und filme die Trauergäste.«
Der Film zeigte Falcón und Salgado im Gespräch und brach dann abrupt ab. Calderón lehnte sich zurück.
»Sergio scheint anzunehmen, dass
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