Der Blinde von Sevilla
Sie Salgados einzige Familie sind, Inspector Jefe«, sagte Calderón.
»Salgado hatte noch eine Schwester«, sagte Falcón. »Er hatte sie gerade in einem Heim in Madrid untergebracht.«
»War Ihre letzte Begegnung nach der Beerdigung in irgendeiner Weise anders als sonst?«, fragte Calderón.
»Er hat mir Informationen über Raúl Jiménez angeboten, im Tausch gegen Zugang zum Atelier. Er hat auch gesagt, dass er gar nichts aus dem Atelier haben, sondern bloß ein wenig Zeit dort verbringen wollte. Ich habe immer geglaubt, er plante noch eine letzte Francisco-Falcón-Ausstellung, aber er beteuerte, dass dem nicht so war. Es klang vielmehr wie ein nostalgischer Wunsch.«
»Was für Informationen?«
»Er kannte Raúl Jiménez und seine Frau und hat angedeutet, dass er wüsste, wer die Feinde des Mannes waren. Er sagte, er hätte vertrauliche Informationen von wohlhabenden Kunden seiner Galerie aufgeschnappt. Dann ließ er durchblicken, dass er mich in die richtige Richtung weisen könnte, auf Menschen, die Raúl Jiménez vertraut hatten und von ihm enttäuscht worden waren. Außerdem haben wir uns über die Geldwäsche von schwarzen Peseten vor Einführung des Euros unterhalten und darüber, wie schwarz verdiente Peseten aus der Gastronomie sich in saubere Immobilien und Kunst verwandelt haben. Es klang alles sehr verheißungsvoll, aber ich kenne Ramón Salgado …«
»Und Sie haben keine Ahnung, was er im Atelier Ihres Vaters wollte?«, fragte Calderón.
»Möglicherweise liegt zwischen all den Papieren eine Leiche begraben«, sagte Falcón, »aber ich bezweifle, dass ich sie je finden werde.«
»Wie gut kannte Salgado Consuelo Jiménez?«
»Ich weiß mit Sicherheit, dass er sie meinem Vater vorgestellt hat, dem sie zu drei verschiedenen Anlässen Bilder abgekauft hat. Ich bin außerdem überzeugt, dass Consuelo Jiménez Ramón Salgado schon aus der Kunstszene in Madrid kannte und dass es möglicherweise sogar er war, der sie auf der Feria de Abril 1989 Raúl Jiménez vorgestellt hat. Was ihre Beziehung zu Ramón Salgado betrifft, hat sie von Anfang an ausweichend geantwortet. Vielleicht wollte sie nur ihre Privatsphäre schützen – sie reagiert wirklich sehr empfindlich auf Zudringlichkeiten –, vielleicht wusste Salgado aber auch etwas über Raúl Jiménez, und sie wollte uns von ihm fern halten. Sie erwähnte einen ›Freund ihres Mannes aus der Zeit in Tanger‹, bei dem es sich meiner Überzeugung nach nur um Salgado handeln kann, was bedeuten würde, dass die beiden Männer sich seit mehr als 40 Jahren kannten.«
»Irgendwo dort liegt ein mögliches Motiv vergraben, oder?«, fragte Calderón.
»Sie hat auch Salgado umlegen lassen«, sagte Ramírez. »Da bin ich ganz sicher.«
»Wir wollen keine voreiligen Schlüsse ziehen, Inspector«, sagte Calderón. »Es ist lediglich eine Spur, die weiter zu verfolgen sich lohnt. Jetzt sollten wir uns die Lektion der Sehschule anschauen.«
Ramírez nahm die Karte aus dem Plastikbeutel der Spurensicherung. Auf der Rückseite standen zwei Namen: Francisco Falcón und H. Bosch.
»Die Karte lag unter der Tastatur des Computers«, sagte Falcón. »Es könnten Passwörter für den Zugriff auf geschützte Dateien sein.«
Calderón aktivierte mit einem Doppelklick die Festplatte, und ein Dialogfeld verlangte die Eingabe eines Passwortes. Er tippte Francisco Falcón ein. Die Festplatte öffnete sich zu einer Liste aus zwanzig Ordnern mit Namen, die auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich wirkten – Briefe, Kunden, Konten, Kosten … Sie klickten die Ordner einen nach dem anderen an. Nur der Ordner »Zeichnungen« verlangte einen neuen Zugangscode. Sie tippten H. Bosch ein, und eine weitere Liste von Dateien erschien auf dem Bildschirm. Calderón öffnete eine von ihnen. Sie enthielt hunderte von Fotos, datiert und mit Initialen versehen.
»Ich hoffe, wir müssen nicht Salgados gesamte Sammlung durchsehen, bis wir finden, was Sergio uns zeigen will«, sagte Calderón.
Falcón scrollte die Liste durch bis nach unten.
»Die letzten fünf sind Filme«, sagte Calderón.
»Vielleicht sind die Fotos doch nicht so harmlos«, sagte Ramírez.
»Vielleicht hat er sie für die Versicherung archiviert«, vermutete Falcón.
Ramírez griff nach der Maus und aktivierte einen der Filme mit einem Doppelklick. Die Männer zuckten beim Anblick des ersten Bildes zusammen, das in einem kleinen Rahmen auf den Bildschirm flatterte. Es zeigte einen kleinen Jungen, der bäuchlings
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