Der Blinde von Sevilla
auf ein altmodisches, lederbezogenes Gymnastik-Pferd gefesselt war. Obwohl sein Gesicht schlaff und sein Blick von Drogen glasig wirkte, konnte man noch die Spuren der Angst darin erkennen.
»Das müssen wir uns nicht ansehen«, sagte Falcón.
»Überprüfen Sie eins der Fotos«, sagte Calderón.
Ramírez öffnete eins. Sie zuckten erneut zusammen und stöhnten angewidert auf. Das reichte ihnen, und sie schalteten den Computer ab.
»Das soll sich lieber die Sitte ansehen«, sagte Falcón.
»Und was bedeutet es für uns?«, fragte Calderón. »Warum hat Sergio unsere Aufmerksamkeit darauf gelenkt?«
»Es war eine Lektion im Sehen«, sagte Falcón. »Er hat uns das wahre Wesen des Mannes gezeigt. Wenn man Ramón Salgado zuvor für den älteren, einsamen, wohlhabenden, respektierten Besitzer einer angesehenen Galerie in Sevilla mit besten Verbindungen zu den besseren Kreisen gehalten hat, sieht man ihn jetzt mit anderen Augen.«
»Ich glaube, das ist eine Sackgasse«, sagte Ramírez. »Nur ein weiterer Versuch, uns auf die falsche Fährte zu locken. Es ist kein Zufall, dass Señora Jiménez mit beiden Opfern eng persönlich bekannt ist.«
»Es gab noch ein drittes Opfer«, wandte Falcón ein.
»Sie wissen, was ich meine, Inspector Jefe«, sagte Ramírez. »Die puta war ein bedauerliches Opfer und eine weitere Art, unsere Ermittlung zu verwirren und zu verschleppen. Consuelo Jiménez hatte alle Informationen, die sie brauchte, um ihrem Mann und offenbar auch Ramón Salgado etwas anzuhängen und sie in die Falle zu locken. Ich denke nach wie vor, dass wir sie auf die Jefatura bringen und mal so richtig ausquetschen sollten.«
»Bevor wir sie zur Vernehmung abholen, würde ich vorschlagen, dass wir dieses Haus von oben bis unten durchsuchen und ein Team zu der Galerie in der Calle Zaragoza schicken«, meinte Falcón. »Wenn Sie es mit ihr aufnehmen wollen, brauchen Sie Munition.«
»Und wonach sollen wir suchen, Inspector Jefe?«, fragte Ramírez.
»Wir suchen nach einer hässlichen Verbindung zwischen Consuelo Jiménez und Ramón Salgado«, sagte Falcón. »Also lassen Sie Fernández weiter die Nachbarn befragen, und durchkämmen Sie zusammen mit Serrano und Baena das Haus von oben bis unten, sobald Felipe und Jorge fertig sind.«
Ramírez verließ den Raum. Falcón machte die Tür hinter ihm zu und ging zu dem am Schreibtisch sitzenden Calderón zurück.
»Ich wollte Sie kurz unter vier Augen sprechen«, sagte Falcón.
»Hören Sie, ähm … Don Jav… Inspector Jefe«, stammelte Calderón unvorbereitet, weil private und dienstliche Gedanken in seinem Kopf kollidierten. »Ich weiß nicht, was gestern Abend passiert ist. Ich weiß nicht, was Inés zu Ihnen gesagt hat. Ich weiß natürlich, dass Sie … aber sie hat mir gesagt, dass es zu Ende sei, dass Sie geschieden sind. Ich denke, Sie müssen … ich weiß nicht … ich meine … Was haben Sie gestern Nacht dort gemacht ?«
Falcón stand wie angewurzelt da. Der Vormittag war so angefüllt gewesen, dass er gar nicht mehr an Inés gedacht hatte. Was er unter vier Augen hatte besprechen wollen, war die Affäre um MCA Consultores S.A. und nicht sein Privatleben. Er starrte zu Boden und hoffte auf einen Zeitsprung, der ihn eine Woche weiter zu einem anderen Fall mit einem anderen Staatsanwalt tragen würde. Doch der stellte sich nicht ein, und er fand sich in einem gewaltigen inneren Zwiespalt wieder. Er wollte etwas sagen, wollte demonstrieren, dass er genau wie Calderón in der Lage war, diese peinliche Situation zu bewältigen, doch er scheiterte an dem Chaos, das in ihm herrschte.
»Es war nicht meine Absicht, jetzt über diesen Vorfall zu reden«, sagte er, selbst entsetzt über die pompöse Distanz seiner Worte. »Meine Sorge gilt ausschließlich dienstlichen Belangen.«
Noch im selben Moment hasste er sich selbst für diese Dummheit, und Calderóns Antipathie schlug ihm entgegen wie ein übler Gestank. Man hatte ihm die Möglichkeit zu einem zivilisierten Einverständnis geboten, er hatte kalt und unhöflich reagiert, und die Gelegenheit war verstrichen.
»Welche dienstlichen Belange bereiten Ihnen denn Sorge, Inspector Jefe?«, fragte Calderón und schlug mit demonstrativer Gelassenheit die Beine übereinander.
Falcón wurde bewusst, dass er jegliche Aussicht auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Staatsanwalt zunichte gemacht hatte. Fortan würde er auf prinzipiellen Widerstand gegen seine Ideen und möglicherweise eiserne Antipathie
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