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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Sevilla zurückkommen müsse, um eine Aussage zu machen. Als Ruíz protestierte, drohte Falcón, Lucena zu verhaften.
    »Haben Sie sich wieder beruhigt?«, fragte er Ramírez, der über das Wagendach hinweg nickte. »Bringen Sie Señor Lucena zur Jefatura und nehmen Sie seine Aussage zu Protokoll … aber fassen Sie ihn nicht zu hart an.«
    Als sie alle wieder unterwegs waren, murmelte Falcón am Steuer seines Wagens vor sich hin. Heute waren alle verrückt. Manche Fällen lösten so etwas aus, weil sie einem einfach zu sehr an die Nieren gingen. Normalerweise solche, in die Kinder verwickelt waren. Entführungen, gefolgt vom endlosen Warten und dem unvermeidlichen Fund eines misshandelten Körpers. Dies war genau so … als ob den Exzessen menschlicher Erfahrung eine neue schreckliche Variante hinzugefügt worden wäre, die etwas zerstört hätte, was nie mehr ersetzt werden konnte. Das Tageslicht würde immer einen Hauch matter erscheinen, die Luft nie mehr ganz so frisch.
    »Bekommen Sie so etwas häufig zu sehen?«, fragte Señora Jiménez. »Na ja, vermutlich schon, vermutlich die ganze Zeit.«
    »Was denn?«, fragte Falcón scheinbar unberührt, der – obwohl er genau wusste, was sie meinte – nicht auf ihre Frage eingehen wollte.
    »Menschen mit perfekten Leben, die vor Ihren Augen binnen Sekunden zerstört werden …«
    »Nie«, erwiderte er beinahe vehement.
    »Perfekt« – dieses Wort ließ ihn innerlich zusammenzucken und erinnerte ihn an die Worte, mit denen sie am Morgen die Fassade seines »perfekten« Lebens in sich hatte zusammenstürzen lassen: »Ich glaube, das ist noch härter. Verlassen zu werden, weil sie lieber allein sein wollte.« Er widerstand dem gemeinen Drang, es ihr heimzuzahlen: »Ich glaube, das ist hart … wegen einem Mann verlassen zu werden.« Er legte den Gedanken unter »unwürdig« ab und dachte, dass Inés ihm die Frauen vielleicht für immer verdorben hatte.
    »Bestimmt, Inspector Jefe«, sagte sie.
    »Nein, nie«, sagte er, »weil ich noch nie jemanden mit einem perfekten Leben getroffen habe. Eine perfekte Vergangenheit und eine unbelastete Zukunft, ja. Aber die perfekte Vergangenheit ist immer brillant geschönt und eine unbelastete Zukunft ein hoffnungsloser Traum. Perfekt ist das Leben nur auf dem Papier, und selbst dort gibt es Zwischenräume zwischen den Wörtern und Zeilen, die selten so leer sind, wie sie scheinen.«
    »Ja, wir sind vorsichtig«, sagte sie, »vorsichtig, was wir den anderen zeigen und was wir uns selbst offenbaren.«
    »Ich wollte nicht so … heftig reagieren«, entschuldigte er sich. »Es war ein langer Tag, und er ist noch nicht zu Ende. Wir hatten alle einige Schocks zu verdauen.«
    »Ich kann nicht glauben, dass ich immer noch so dämlich bin«, sagte sie. »Ich habe Basilio im Fahrstuhl des Edificio Presidente kennen gelernt. Wahrscheinlich kam er gerade aus dem achten Stock. Ich habe nicht nachgedacht. Aber … aber warum sollte er … sich die Mühe machen, mich zu verführen?«
    »Vergessen Sie ihn. Er ist nicht wichtig.«
    »Es sei denn, er hat mir etwas angehängt.«
    »Machen Sie einen Test«, sagte Falcón brutaler als beabsichtigt. »Aber fangen Sie auch an, darüber nachzudenken, wer sonst noch ein Motiv haben könnte, Ihren Mann zu ermorden, Doña Consuelo. Ich will die Namen und Adressen all seiner Freunde. Ich möchte zum Beispiel, dass Sie sich daran erinnern, wer Ihnen erzählt hat, dass Sie seiner ersten Frau so ähnlich sehen. Ich will Raúls Terminkalender.«
    »Er hat einen Tischkalender in seinem Büro, den ich für ihn geführt habe. Sein Adressbuch hat er weggeworfen, als er sein erstes Handy bekommen hat. Mit Papier konnte er nichts anfangen. Er hat ständig seine Stifte verloren und meine geklaut.«
    An ein Handy konnte Falcón sich nicht erinnern. Er rief den Medico Forense in der Pathologie an, aber auch dort wusste man nichts von einem Handy. Der Mörder musste es an sich genommen haben.
    »Sonst noch irgendwelche Unterlagen?«
    »Ein altes Adressbuch in dem Computer im Büro.«
    »Wo ist das?«
    »Über dem Restaurant in der Nähe der Plaza de Alfalfa.«
    Er gab ihr sein Handy und bat sie, dafür zu sorgen, dass er den Ausdruck in einer halben Stunde abholen konnte.
    Kurz nach drei setzte er sie vor dem Haus ihrer Schwester in San Bernardo ab, zehn Minuten später parkte er in der Nähe des Osteingangs der Jardines de Murillo und ging zu Fuß weiter. Halb rennend hastete er durch die vollen Straßen des Barrio de

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