Der Blinde von Sevilla
aus dem Sessel gesprungen war, als ihm klar wurde, dass David Lean dieses Gebäude als britische Botschaft in Kairo benutzt hatte.
»Sie können reden, wenn Sie wollen«, sagte er.
Aggressiv setzte sie zum Sprechen an, hielt sich jedoch nach der ersten Silbe zurück und suchte stattdessen in ihrer Handtasche einen Lippenstift, mit dem sie ihre Lippen nachzog … sehr hübsch.
»Ich bin genauso neugierig wie Sie«, sagte sie, was ihn irritierte.
Sie parkten vor dem Haus. Ramírez war noch nicht da, also nahm Falcón den Obduktionsbericht und las ihn sorgfältig durch. Die verwendeten Instrumente, das technische Know-how des Täters sowie die Chemikalien und Lösungen, die man an der Kleidung des Opfers nachgewiesen hatte, bestätigten seinen Verdacht.
Ein Wagen hielt neben ihrem. Ramírez nickte ihnen zu und parkte am Ende der Straße. Er kam zurück, ging durch das Tor und klingelte. Lucena öffnete, und ein Wortwechsel entspann sich. Ramírez zeigte seinen Ausweis und wurde hereingelassen. Nach einigen Minuten stiegen Falcón und Señora Jiménez aus dem Wagen und klingelten ebenfalls. Lucena wirkte mitgenommen, als er erneut an die Tür kam und sich unvermittelt mit Falcóns ernster Miene und den blitzenden Blicken seiner Geliebten konfrontiert sah. Er hatte offensichtlich Angst, doch Falcón war sich nicht sicher, wovor. Sie gingen hinein, und unter den Blicken dreier Augenpaare fühlte sich der Mann in seinem Wohnzimmer sichtlich bedrängt. Falcón baute sich neben dem Fernseher auf, an den eine Videokamera angeschlossen war, während Ramírez an der Tür stehen blieb. Lucena setzte sich auf die Kante eines Sessels, Señora Jiménez entschied sich für das Sofa gegenüber, kreuzte die Beine und begann, mit dem Fuß zu wippen.
»Señora Jiménez hat uns bereits darüber informiert, dass Sie gestern Abend mit ihr zusammen waren«, sagte Falcón. »Können Sie sich noch erinnern, wann Sie gegangen sind?«
»Gegen zwei«, sagte er und fuhr sich mit der Hand durch sein dünnes braunes Haar.
»Wohin sind Sie vom Hotel Colón aus gefahren?«
Der Fuß hörte auf zu wippen.
»Hierher zurück.«
»Haben Sie das Haus gestern Nacht noch einmal verlassen?«
»Nein. Ich bin heute Morgen zur Arbeit gefahren.«
»Wie sind Sie zur Arbeit gefahren?«
Er stockte, stolperte über diese Anfängerfrage.
»Mit dem Bus.«
Ramírez übernahm und verwickelte Lucena in endlose Erörterungen über Busstrecken, doch dieser klammerte sich an seine Lüge, bis Falcón ihm schweigend das Bild der Überwachungskamera vorlegte.
»Sind Sie das, Señor Lucena?«
Er bejahte die Frage mit einem nervösen Nicken.
»Welches Fach lehren Sie an der Universität?«
»Biochemie.«
»Dann arbeiten Sie wahrscheinlich in einem der Gebäude an der Avenida de la Reina Mercedes?«
Er nickte.
»Ganz in der Nähe der Heliopolis. Wohin Señora Jiménez zieht.«
Er zuckte die Achseln.
»Wäre es schwierig, sich an Ihrer Fakultät eine Chemikalie wie Chloroform zu besorgen?«
»Überhaupt kein Problem.«
»Und Salzlösung, Skalpelle und eine OP-Schere?«
»Ebenfalls kein Problem, es gibt schließlich ein Labor.«
»Sehen Sie diese Zahlen unten rechts am Bildrand … wie lauten sie?«
»02.36 12.04.01.«
»Wen haben Sie um diese Zeit im Edificio Presidente besucht?«
Er strich sich über den Nasenrücken und kniff die Augen zu.
»Können wir das unter vier Augen besprechen?«, fragte er.
»Wir alle haben ein Interesse an Ihrer Antwort«, sagte Ramírez.
»25 Minuten, nachdem Sie das Haus betreten haben, wurde Raúl Jiménez ermordet«, sagte Falcón, der erkannt hatte, dass Lucena in ihm nicht so sehr den Strafverfolger sah, sondern sich mit ihm verbünden wollte. Angst hatte er vor der Frau.
»Ich bin in den 8. Stock gefahren«, gab Lucena schließlich zu und warf die Hände in die Luft.
»In den achten Stock?«, fragte Señora Jiménez.
»Orfilia Trinidad Muñoz Delgado«, sagte Ramírez.
»Die ist doch mindestens 90«, warf Señora Jiménez ein.
»74«, verbesserte Ramírez sie. »Und dann gibt es da natürlich noch Marciano Joaquín Ruíz Pizarro.«
»Der Theaterregisseur Marciano Ruíz?«, fragte Falcón.
Lucena nickte unterwürfig.
»Ich kenne ihn«, sagte Falcón. »Er hat meinen Vater hin und wieder besucht, aber er ist …«
»Un maricón« , sagte Señora Jiménez brutal mit tiefer Stimme.
Ramírez machte rasch einen theatralischen Schritt zurück und starrte auf Lucena hinunter. Falcón zückte sein Handy und rief
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