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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Fernández an, der ihm berichtete, dass in der Ruíz-Wohnung niemand aufgemacht hatte, als er am Nachmittag geklingelt hatte.
    »Er ist heute nicht da«, sagte Lucena. »Er hat mich bei der Arbeit abgesetzt und ist dann nach Huelva gefahren. Er probt dort Lorcas Bodas de Sangre. «
    Señora Jiménez war aufgesprungen, bevor irgendwer eingreifen konnte. Sie holte aus und schlug Lucena mit der flachen Hand ins Gesicht, ein hässliches Geräusch, weniger ein Klatschen als ein dumpfer Aufprall. Die ganzen Ringe, dachte Falcón.
    »Hijo de puta« , brüllte sie an der Tür.
    Blut sickerte über Lucenas Wange. Die Haustür wurde zugeknallt. Absätze spalteten das Pflaster.
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Ramírez, der entspannter wirkte, nachdem die Frau den Raum verlassen hatte. »Warum haben Sie sie gebumst, wenn Sie ein …«
    Lucena tupfte sich mit einem Papiertaschentuch die Stirn ab.
    »Können Sie mir das einfach erklären?«, fragte Ramírez. »Ich meine, man ist doch entweder das eine oder das andere, oder nicht?«
    »Muss ich diesem Schwachkopf antworten?«, wollte Lucena von Falcón wissen.
    »Wenn Sie nicht sehr viel Zeit auf der Jefatura verbringen wollen.«
    Lucena stand auf, schob die Hände in die Tasche, ging in die Mitte des Raumes und drehte sich zu Ramírez um. Seine Schwäche war hinter einer rachsüchtigen, aristokratischen Pose verschwunden, als wäre er ein Dandy, den man zum Duell gefordert hatte.
    »Ich habe sie gebumst, weil sie mich an meine Mutter erinnert«, sagte er.
    Es war eine kalkulierte Provokation, die den erwünschten Effekt hatte, Ramírez zu schockieren. Der Inspector stammte aus einer armen Arbeiterfamilie aus Sevilla und lebte mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern im Haus seiner Eltern. Seine Mutter lebte noch, und wenn sein Schwiegervater starb, was nur noch eine Frage von Wochen war, dann würde auch seine Schwiegermutter zu ihnen ziehen. In seiner sozialen Schicht redete niemand so über Mütter.
    »Wir gehen jetzt«, sagte Falcón und packte Ramírez an seinem anschwellenden Bizeps.
    »Ich will … ich will die Telefonnummer von dem anderen maricón «, sagte Ramírez gurgelnd und riss sich los.
    Lucena ging zum Schreibtisch und kritzelte etwas auf ein Stück Papier, das er Falcón gab, bevor jener Ramírez aus dem Zimmer schob.
    Der Verkehr auf der Calle Río de la Plata floss so träge dahin wie der gleichnamige Fluss durch Buenos Aires. Señora Jiménez stand am Ende der Straße, ihr Zorn funkelte hell in der Sonne. Ramírez war nicht weniger wütend. Falcón stand irgendwo dazwischen, weniger Ermittler als Sozialarbeiter.
    »Rufen Sie Fernández an«, sagte er zu Ramírez. »Fragen Sie, ob sie das Mädchen schon gefunden haben.«
    Lucenas Haustür knallte zu. Falcón ging auf Consuelo Jiménez zu und dachte: War das die Kultiviertheit, von der sie gesprochen und die sie so fasziniert hatte? Und wo standen sie jetzt? Wo waren sie in dieser Kultur der Unverbindlichkeit gelandet?
    Sie weinte, dieses Mal vor Wut, biss die Zähne aufeinander und stampfte, wütend über ihre Demütigung, mit dem Fuß auf. Er nickte scheinbar zustimmend, während er dachte, dass das typisch für die Polizeiarbeit war: In einem Moment war man kurz davor, den Fall zu lösen und sich anschließend ein paar frühe Feierabendbierchen zu gönnen, und im nächsten stand man wieder auf der Straße und fragte sich, wie man so oberflächlich hatte sein können.
    »Ich fahre Sie zurück zu Ihrer Schwester«, sagte er.
    »Was habe ich ihm getan?«, fragte sie. »Was habe ich ihm je getan?«
    »Nichts«, sagte Falcón.
    »Was für ein Tag«, sagte sie und starrte in den perfekten Himmel, hinauf in seine endlose Heiterkeit. »Was für ein beschissener Tag.«
    Dann senkte sie den Blick auf das zerknüllte Papiertaschentuch in ihrer Hand, als ließen sich darin Logik, Klarheit oder die Zukunft finden, bevor sie es in die Gosse warf. Falcón nahm ihren Arm und führte sie zum Wagen. Als sie einstiegen, berichtete Ramírez, dass sie das Mädchen von der Alameda gefunden hatten und es zur Jefatura in der Calle Blas Infante bringen würden.
    »Sagen Sie Fernández, er soll noch den letzten von Señora Jiménez gefeuerten Angestellten befragen. Pérez soll das Mädchen schwitzen lassen, bis wir kommen. Ich möchte, dass um halb fünf, eine halbe Stunde vor unserem Termin mit Juez Calderón, alle Berichte vorliegen.«
    Falcón rief Marciano Ruíz auf seinem Handy an und erklärte ihm, dass er am Abend nach

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