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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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mit ihnen gespielt. Lebende Wesen faszinierten sie viel mehr. Eigenartig für jemand so Unkomplizierten, finden Sie nicht?«
    »Vielleicht war ihre Fantasie einfach nicht genug entwickelt.«
    »Schon möglich. Die Fantasie ist etwas sehr Komplexes, genau wie das Leben.«
    »Wahrscheinlich hat sie nicht viel hineingedeutet.«
    »Ich habe mich immer gefragt, was wohl in ihrem Kopf vor sich ging.«
    »Und fragen Sie sich das jetzt nicht mehr?«
    »In den letzten 20 Jahren hat sie praktisch kein Wort gesagt. Vor einer Weile geschah allerdings etwas Bemerkenswertes. Das Personal in der Einrichtung hat im Laufe der Jahre gewechselt. Es ist ein Zeichen unserer Zeit, dass hier zu Lande kaum noch junge Menschen Pfleger in psychiatrischen Kliniken werden wollen, sodass die offenen Stellen zunehmend mit Einwanderern besetzt werden. In Martas Fall war es ein marokkanischer Junge, der mit einem Kätzchen ankam, das er irgendwo aufgelesen hatte. Irgendwas in ihrem Kopf muss Klick gemacht haben. Sie wurde regelrecht lebhaft. Es muss bei ihr Erinnerungen an die frühe Kindheit mit den Hausdienern und den Katzen wachgerufen haben.«
    »Sie hat gesprochen?«
    »Keine zusammenhängenden Worte, sondern irgendetwas Unverständliches, schließlich hatte sie ihre Stimmbänder seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt. Aber es war ein Anfang. Seither gibt es wenig Fortschritte. Mit mir ›spricht‹ sie nicht, wenn ich sie besuche. Aber vielleicht erinnere ich sie auch zu sehr an das ursprüngliche Trauma.«
    »Wussten die Ärzte, was dieses Trauma war?«
    »Bis vor drei Jahren nicht und auch dann nicht die ganze Geschichte.«
    »Bis vor drei Jahren?«
    »Als ich selbst erstmals dem Gedanken näher treten konnte, es überhaupt auszusprechen. Sie hatten mich gefragt, wer Arturo ist. So weit war sie gekommen. Ich verwies sie an meinen Vater, der leugnete, dass es im Familienkreis irgendjemanden dieses Namens gegeben hätte, was nicht stimmte. Der Vater meiner Mutter hieß Arturo. Habe ich Ihnen erzählt, dass ihre Eltern gestorben sind?«
    »Nein.«
    »In dem Jahr vor Arturos Geburt starben beide Eltern meiner Mutter binnen drei Monaten. Sie hatte Krebs, er einen Herzinfarkt. Ich glaube, dass meine Mutter deswegen das Wagnis auf sich genommen hat, ein weiteres Kind zu bekommen.«
    »Was haben Sie Martas Ärzten erzählt?«
    »Mein Psychoanalytiker hat später alles in einem Brief klargestellt, aber zum damaligen Zeitpunkt erklärte ich ihnen, dass er ein jüngerer Bruder war, der gestorben ist.«
    »Das war er doch auch«, sagte Falcón, »oder nicht?«
    »Ich vermute, dass Sie in Ihrem Beruf mit der Natur des absolut Bösen vertraut sind«, sagte Jiménez.
    »Ich habe schon üble und verrückte Dinge gesehen, aber ich bin mir nicht sicher, dass ich je der ›Natur des absolut Bösen‹ begegnet bin. Alle Taten, die ich bisher untersucht habe, waren kriminell und daher begreifbar. Wenn Sie von dem Bösen sprechen, bewegen wir uns auf metaphysischem Boden.«
    »Und das«, sagte Jiménez, »liegt außerhalb des Zuständigkeitsbereichs eines Inspector Jefe del Grupo de Homicidios in Sevilla?«
    »Ich bin kein Priester«, sagte Falcón. »Vielleicht hätte es geholfen, wenn ich einer wäre, denn der Mord an Ihrem Vater ist der schockierendste Fall in meiner bisherigen Laufbahn. Als ich sein Gesicht gesehen und begriffen habe, was man ihm angetan hat, habe ich die Präsenz von etwas sehr Mächtigem gespürt. Ich mache meine Arbeit normalerweise ziemlich leidenschaftslos, doch das hat mich ziemlich mitgenommen – obwohl es mir sehr unangenehm wäre, wenn meine Vorgesetzten davon erführen.«
    Jiménez setzte sich seitlich auf den Stuhl, schlug ein Bein über das andere, ballte die Hand zur Faust und öffnete sie wieder. Falcón dachte, dass er vielleicht wissen wollte, was mit Raúl geschehen war, jedoch nicht zu fragen wagte.
    »Das Böse verfügt über eine große Einsicht in die Natur des Menschen«, sagte Jiménez nach einer Weile. »Es ist eine Art zu denken, die sich fröhlich zwischen Fantasien von Rache und Verrat tummelt und diese Fantasien nährt. Das Böse weiß instinktiv, wo und wie es zuschlagen muss, um zum Herzen der … Dinge vorzudringen. Sie haben nicht meinen Vater ermordet, was vermutlich gerecht gewesen wäre. Sie haben weder meine Mutter noch meine Schwester noch mich vergewaltigt, was ungerecht und grausam gewesen wäre. Sie haben genau das getan, von dem sie wussten, dass es die Familie meines Vaters erfolgreich auseinander

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