Der blonde Vampir
Name war Amba, was in meiner Sprache soviel wie Mutter bedeutet. Ich war sieben, und Amba zählte doppelt so viele Jahre, als die Krankheit in unser Dorf kam. Obwohl uns sieben Jahre Altersunterschied trennten, waren wir doch die besten Freundinnen. Ich war groß für mein Alter, sie war klein, und wir beide liebten den Gesang, vor allem Tempellieder, geistliche Gesänge der heiligen Vedas, welche wir in der Dunkelheit am Fluß sangen. Meine Haut war von der Sonne gebräunt, Ambas Haut war dunkel durch das Erbe ihres indischen Großvaters. Wir sahen grundverschieden aus, aber wenn wir sangen, klangen unsere Stimmen wie eine einzige, und das machte mich glücklich. Das Leben war einfach in Rajastan.
Bis die Krankheit kam. Sie befiel nicht jeden, nur etwa die Hälfte der Einwohner. Ich weiß nicht, warum ich verschont blieb; schließlich habe ich genau wie Amba und die anderen aus dem verseuchten Fluß getrunken. Amba war eine der ersten, die krank wurden. An den letzten zwei Tagen ihres Lebens erbrach sie Blut, und alles, was ich tun konnte, war neben ihr sitzen und zusehen, wie sie stirbt. Ich grämte mich besonders, weil Amba zu der Zeit im achten Monat schwanger war. Obwohl ich ihre beste Freundin war, hat sie mir nie den Namen des Vaters ihres Kindes verraten. Niemand hat ihn je erfahren.
Als sie starb, dachte ich, daß alles vorüber sei. Ihr Körper würde verbrannt und Vishnu als ein Opfer dargeboten werden; ihre Asche würde man in den Fluß streuen. Aber kurz zuvor war ein aghoranischer Priester in unser Dorf gekommen. Er sagte, daß man mit ihrem Körper etwas anderes tun solle. Aghora war der Weg zur Linken, der dunkle Pfad, und niemand hätte auf den Priester gehört, wenn die Seuche nicht alle in Panik versetzt hätte. Der Priester trug seine blasphemischen Ideen vor, und die Menschen hörten ihm zu, weil sie vor Angst außer sich waren. Er sagte, daß die Seuche das Ergebnis eines schlechten Rakshasa sei – oder der Fluch eines Dämons, der uns für unsere Verehrung des Gottes Vishnu bestrafen wolle. Er sagte, der einzige Weg, unser Dorf vor dem Rakshasa zu retten, sei, die Hilfe eines noch mächtigeren Wesens zu erbitten, eines Yakshini. Dieses solle den Rakshasa aufessen.
Einige hielten diese Idee für vernünftig, aber viele andere, zu denen auch ich gehörte, dachten, daß wenn Gott uns nicht schützen könne, auch ein Yakshini nicht mächtig genug dazu sei. Zudem fragten wir uns, was der Yakshini tun würde, nachdem er den Rakshasa einmal verschlungen habe. Aus unseren wedischen Texten wußten wir, daß Yakshinis die Menschen nicht sonderlich mochten. Aber der aghoranische Priester versprach uns, daß er sich mit dem Yakshini verstehen würde, und so erlaubten wir ihm, mit seinen Plänen fortzufahren.
Aghoraner erwecken einen Gott nicht am Altar, sondern lassen ihn in den Körper eines kürzlich Verstorbenen fahren und so Gestalt annehmen. Besonders dieser Brauch ist es, der die Verachtung der meisten gläubigen Menschen in Indien auf sich zieht. Aber wenn ein Mensch verzweifelt ist, vergißt er oft seinen Glauben, wenn er ihn am meisten braucht. Es gab viele Tote zu dieser Zeit, also konnte sich der Priester einen Körper auswählen. Er entschied sich für Amba, und ich glaube, daß ihre Schwangerschaft ihm die Entscheidung leichtgemacht hat. Ich war damals noch ein Kind, aber in den Augen des Priesters erkannte ich einen Ausdruck, der mich frösteln ließ. So kalt und ohne Liebe.
Da ich so jung war, durfte ich der Zeremonie nicht beiwohnen. Ohnehin waren keine Frauen zugelassen. Da ich mich jedoch um den Körper meiner toten Freundin sorgte, schlich ich mich in der Nacht heimlich in den Wald an die Stelle, wo die Beschwörung stattfinden sollte. Ich versteckte mich hinter einem Felsblock am Rande einer Lichtung und sah zu, wie der aghoranische Priester, unterstützt von sechs Männern – von denen einer mein Vater war –, Ambas nackten Körper vorbereitete. Sie salbten ihn mit geklärter Butter, Kampfer und Wein. Dann ließ sich der Priester mit Ambas Körper an einem flackernden Feuer nieder und begann einen monotonen Singsang. Das gefiel mir nicht; die Töne klangen ganz und gar anders als die Tempellieder, die wir zu Ehren Vishnus gesungen hatten. Die Formeln tönten kalt in meinen Ohren, und am Ende eines jeden Verses schlug der Priester mit einem langen, dünnen Stock auf Ambas Körper ein. Es schien ganz so, als wolle er sie wieder zurück ins Leben rufen – oder etwas in ihr
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