Der blonde Vampir
sie es immer tut, aber für Yaksha und mich waren die folgenden Jahre etwas Besonderes. Yaksha nämlich wuchs schneller, als jedes andere Kind in unserem Dorf es jemals getan hatte, und als ich fünfzehn Jahre alt war, stand er mir in Größe und Wissen um nichts nach. Seine rasche Entwicklung erinnerte hin und wieder an die Gerüchte, die sich um seine Geburt rankten. Aber es waren nur Gerüchte, denn die Männer, die in der Nacht, als Yaksha geboren wurde, dabeigewesen waren, sprachen nie über das, was passiert war, als der Priester versucht hatte, den Yakshini in Ambas Körper zum Leben zu erwecken. Wahrscheinlich hatten sie einander geschworen zu schweigen, denn hin und wieder nahm mein Vater mich beiseite und erinnerte mich daran, daß ich nicht über jene Nacht reden sollte. Natürlich schwieg ich, denn ich glaubte ohnehin nicht daran, daß jemand außer der sechs Männer, die dabeigewesen waren, mir die Geschichte glauben würde. Außerdem liebte ich meinen Vater und versuchte ihm zu gehorchen, auch dann, wenn er meiner Meinung nach einen Fehler machte.
Es war zu dieser Zeit, als ich, wie gesagt, ungefähr fünfzehn war, daß Yaksha wiederholt versuchte, mit mir zu reden. Bis dahin war ich ihm aus dem Weg gegangen, und selbst wenn er mich verfolgte, versuchte ich Distanz zu wahren. Aber das klappte nur eine Weile, denn etwas an ihm machte es mir schwer, weiterhin zu widerstehen. Natürlich war er wunderschön, hatte lange schwarze Haare, glänzende Augen, die wie zwei funkelnde Edelsteine sein ausdrucksvolles Gesicht beherrschten. Auch sein Lächeln war betörend. Immer, wenn er mich anlächelte, zeigte er zwei Reihen perfekter weißer Zähne, die wie Perlen schimmerten. Manchmal blieb ich dann stehen, um mit ihm zu reden, und er hatte stets ein kleines Geschenk für mich – ein bißchen Sandelholzpaste, ein wenig Weihrauch, eine Perlenschnur. Ich nahm diese Geschenke eher zögernd entgegen, denn ich fürchtete, daß Yaksha eines Tages etwas dafür von mir zurückfordern würde, etwas, das ich ihm nicht gerne gab. Doch er bat mich nie um etwas.
Aber es war nicht nur seine Schönheit, die mich anzog. Obwohl er erst acht Jahre zählte, war er sicher der Klügste im ganzen Dorf, und manchmal fragten ihn die Erwachsenen in wichtigen Dingen um Rat: wie man die Ernte verbessern könne, wie man den neuen Tempel errichten solle, wie man am geschicktesten mit den fahrenden Händlern verhandele, die regelmäßig ins Dorf kamen, um ihre Erzeugnisse zu kaufen. Auch wenn die Leute nicht wußten, wer Yaksha wirklich war – alle waren des Lobes voll über ihn.
Auch ich fühlte mich zu ihm hingezogen, aber gleichzeitig fürchtete ich ihn. Hin und wieder entdeckte ich ein merkwürdiges Glitzern in seinen Augen, welches mich an das gerissene Lächeln des Yakshini erinnerte, bevor dieser scheinbar Ambas Körper verließ.
Ich war sechzehn, als der erste der sechs Männer, die Yakshas Geburt miterlebt hatten, verschwand. Er war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Später im Jahr passierte das gleiche mit dem zweiten Mann. Ich fragte meinen Vater, was er davon halte, aber er erklärte, daß man Yaksha keine Schuld daran geben könne. Der Junge entwickele sich tadellos. Aber als im folgenden Jahr weitere zwei Männer verschwanden, begann sogar mein Vater mißtrauisch zu werden. Es dauerte nicht lang, da waren mein Vater und ich die einzigen Menschen im Dorf, die damals in jener schrecklichen Nacht dabeigewesen waren. Doch der fünfte Mann verschwand nicht einfach spurlos. Man fand seinen Körper. Er war entsetzlich entstellt – wie von einem wilden Tier zerfetzt, ohne einen einzigen Tropfen Blut in seinen Adern. Wer zweifelte jetzt noch daran, daß es den anderen Männern genauso ergangen war?
Ich bat meinen Vater, endlich über alles zu reden, was es zu Yaksha zu sagen gab. Dieser war zu dem Zeitpunkt zehn Jahre alt und sah aus wie zwanzig. Wenn er auch jetzt noch nicht das Oberhaupt des Dorfes war, so zweifelten doch wenige Leute daran, daß er es in Kürze sein würde. Aber mein Vater hatte ein weiches Herz. Mit Stolz beobachtete er, wie Yaksha heranwuchs, und oft mag er sich gesagt haben, daß er selbst diesen wundervollen jungen Mann ins Leben geholt hatte. Seine Schwester versorgte Yaksha noch immer. Mein Vater bat mich, den anderen im Dorf nichts zu verraten; er selbst wollte Yaksha bitten, die Siedlung heimlich zu verlassen und nicht zurückzukehren.
Aber nicht nur Yaksha verschwand; auch mein Vater kam nicht
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