Der Blumenkrieg
auf meinen Verlust nicht erschüttert genug reagiere, Vilmos?« Rainfarns Stimme wurde schlagartig eiskalt. »Wenn ja, dann müssen wir uns wohl damit abfinden, daß wir unterschiedlicher Meinung sind. Ich werde mich nicht dazu herablassen, deine übereilten Schlüsse richtigzustellen.«
»Sicher. Wie du meinst.« Theo begriff, daß er soeben einen Mann beleidigt hatte, der ihm helfen konnte, am Leben zu bleiben, und in der Beziehung brauchte er im Augenblick alle Hilfe, die er kriegen konnte. Gejagt von lebenden Leichen und Schleimschneckenmännern, dachte er. Warum nicht auch noch von diesen … wie hießen diese Ekelpakete am Anfang vom »Herrn der Ringe« noch mal? Schwarze Reiter? Nur um ja keinen Horror auszulassen. »Entschuldigung. Ich wollte dich nicht kränken.«
»Mach dich nicht lächerlich. So leicht bin ich nicht zu kränken«, sagte Rainfarn, obwohl sein verkniffener Ton deutlich eine andere Sprache sprach. »Ruf mich an, wenn du in der Stadt bist, und dann erkläre ich dir, was du Fingerhut sagen mußt. Vielleicht setze ich mich noch direkt mit ihm in Verbindung, doch ehe ich nicht herausbekommen habe, wo diese schreckliche Lücke in unseren Sicherheitsvorkehrungen liegt, ziehe ich es vor, nur private Kanäle wie diesen hier zu benutzen.«
Im nächsten Moment brach die Verbindung ab, als ob in Theos Innenohr eine Seifenblase geplatzt wäre.
»Tja«, meinte Apfelgriebs, als Theo das Telefonetui wegsteckte. »Wenn das kein riesiger Schiethaufen ist, und wir mittendrin. Ich denke, wir gehen erst mal an unseren Platz zurück. Nein, ich hab eine bessere Idee. Komm mit!«
Sie flog langsam in Richtung des vorderen Zugteils, und Theo folgte ihr. Zuerst kamen sie in den nächsten Dritte-Klasse-Waggon, der genauso voll von fremdartigen Gestalten und Gesichtern war wie der, wo sie vorher gesessen hatten. Dennoch, es war interessant, wie schnell er sich eingewöhnte – wenn er die Augen halb zumachte, konnte er sich beinahe vorstellen, wieder zu Hause zu sein. Die meisten Fahrgäste schienen zu dösen, während der Zug weiter durch die regnerische Wiesenlandschaft ratterte.
»Wo willst du hin?« flüsterte Theo.
Sie schwenkte zurück und flog an sein Ohr. »Diese Hohlrücken sind vielleicht nicht in den Zug eingestiegen, aber sie stehen auf jeden Fall in Kontakt mit ihrem Auftraggeber. Das heißt, wenn sie dich gesehen haben, dann haben sie eine Beschreibung ausgegeben, und sobald wir aussteigen, wird jemand nach uns Ausschau halten.«
»Scheiße, daran hätte ich denken sollen. Aber wieso gehen wir vor in die Erste Klasse? Ich dachte, du hättest gesagt, wir würden dort zu sehr auffallen, und deshalb sollten wir hinten bleiben.«
»Wir gehen nicht in die Erste Klasse – wenigstens nicht, um dort herumzustehen. Jetzt geh einfach und hör auf zu reden.«
Theo gehorchte.
»Hier hätten wir uns gleich reinsetzen sollen«, wisperte Apfelgriebs, als sie durch den ersten Zweite-Klasse-Wagen kamen. Auch hier waren ein paar der eher ungewöhnlichen Elfentypen vertreten, doch die meisten Reisenden schienen Büroangestellte und Arbeiter von menschenähnlicher Gestalt zu sein. Ein oder zwei schauten auf, als die beiden durch den Gang kamen, doch ihre Blicke galten eher der Fee als Theo. »Wäre passender gewesen. Hätte keine Stänkereien mit Kornböcken und sonstigem zänkischen Gesocks gegeben.«
»Ich weiß, ich hab das schon mal gefragt, aber wohin gehen wir eigentlich?«
»Zu den Privatabteilen. Kurz vor dem Speisewagen.«
»Aber sind das nicht die richtig teuren Plätze?«
»Ja. Aber es sind auch die Plätze, wo niemand sitzt, wenn die Leute zum Essen oder in den Bistrowagen einen heben gegangen sind.«
»Ich verstehe nicht …«
»Bei den Bäumen, Vilmos, du gehst mir auf den Wecker mit deinen ewigen Fragen! Halt einfach mal den Rand, dann siehst du’s schon!« Ihre zischende Stimme war laut genug, daß einige der Fahrgäste von ihren Zeitschriften oder ihren Gesprächen aufblickten. Theos Herz schlug schneller. Es geht nicht bloß darum, eine peinliche Szene zu vermeiden, erinnerte er sich, sondern darum, nicht aufzufallen und umgebracht zu werden. Ich muß ihr vertrauen. Er richtete den Blick starr geradeaus und ging weiter.
Sie traten in den klappernden Durchgang zwischen zwei Wagen. Etwas roch dort in der zugigen Luft, etwas wie elektrisches Ozon, aber auch ein wenig wie brennender Zucker – die Magie, die den Zug antrieb, vermutete er. »Jetzt erklär ich dir’s«, verkündete Apfelgriebs
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