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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Er starrte den Koffer an. »Er ist abgeschlossen.«
    »Mist. Laß mich mal schauen.« Apfelgriebs legte ein Auge an das Schloß, dann wandte sie sich Theo zu. »Du hast nicht zufällig eine Haarnadel bei dir, oder?«
    »So ein Pech, sonst habe ich meistens eine dabei …« Es war ein billiger Witz, der die anschwellende Furcht verbergen sollte. Jeden Moment konnte der Besitzer des Koffers zurückkommen, und der würde ein großes Geschrei veranstalten und den Schaffner rufen, und dann würden sie ihn in ein Gefängnis wie aus einem gruseligen Grimmschen Märchen werfen, genau wie Apfelgriebs es ihm angedroht hatte. Und in der Nacht dann, wenn niemand aufpaßte … »Jesses! Gibt es denn nichts anderes, womit das Ding aufzukriegen ist?«
    »Ich hab dir schon mehrmals gesagt, daß du die Leute mit dem Namen nur irritierst. Sei still und laß mich nachdenken!«
    Theo starrte den Koffer mit nervöser Anspannung an. »Was könnten wir außer einem Schlüssel sonst noch nehmen?«
    »Ich hätte eine Hutnadel«, sagte eine unbekannte Stimme hinter ihm. Vor Schreck ließ Theo den Koffer auf den Boden fallen, und der sprang auf, und Kleidungsstücke und Toilettenartikel flogen durch das ganze Abteil. »Oh! Jetzt wirst du sie wohl nicht mehr brauchen.«
    Ein Mädchen stand in der offenen Tür, ganz in Schwarz gekleidet mit einem langen Mantel und einem eng am Kopf liegenden Hut. Nein, wohl kein Mädchen – wie sollte man bei diesen Leuten das Alter oder sonst etwas mit Sicherheit angeben? –, sondern der ganzen Erscheinung nach eher eine junge Frau. Sie hatte ein herzförmiges weißes Gesicht und große violette Augen; von ihren Haaren sah er unter dem Hut nur eine pechschwarze Locke auf der Stirn. »Oje!« sagte Theo verzagt. »Ist das dein Koffer?«
    Sie sah ihn einen Moment lang neugierig, beinahe bestürzt an, dann stahl sich ein schelmisches Lächeln in einen Mundwinkel. »Nein. Aber jetzt bin ich mir ziemlich sicher, daß es auch nicht deiner ist. Seid ihr Diebe?«
    »Es ist ein Versehen«, erklärte Apfelgriebs entschieden. »Bloß ein Versehen. Komm, wir stellen den wieder zurück und sehen zu, daß wir unser eigenes Abteil finden. Entschuldige vielmals die Störung, Gnädigste.«
    »Ach, ein Versehen. Na, ist mir auch recht. Es ist eine lange und langweilige Fahrt.« Sie lächelte und zeigte Theo ihre kleinen, makellos weißen Zähne. »Wenn dir auch langweilig ist und du gern Gesellschaft hättest, mein Abteil ist gleich gegenüber.«
    Apfelgriebs, die auf Theos Schulter geflogen war, versetzte ihm einen leichten Tritt. »Oh!« sagte er. »Das ist sehr freundlich … Gnädigste. Aber … aber meine … Partnerin und ich, wir … wir haben noch eine Menge geschäftlich zu besprechen.«
    »Soll ich dir helfen, die Sachen aufzusammeln?« Sie schien die ganze hochnotpeinliche Bescherung mehr zu genießen, als sich gehörte.
    Lieber Himmel, dachte Theo, das ist, soweit ich mich erinnern kann, das erste Mal im Leben, daß ich mir wünschte, ein Tornado käme und würde eine schöne Frau durchs Fenster hinaussaugen. »Nein! Nein, nicht nötig, das kriegen wir hin. Vielen Dank.«
    »Vielleicht sehen wir uns dann im Speisewagen? Fährst du auch in die Stadt?«
    »Nein.« Wieder ein Tritt von Apfelgriebs. »Das heißt, ja! Ja, vielleicht sehen wir uns noch.«
    Als das Mädchen sich in ihr Abteil zurückbegeben und diskret wieder die Vorhänge zugezogen hatte, durchwühlte Theo hastig die Kleidungsstücke, die immerhin einem Mann zu gehören schienen (soweit er das bei seinen dürftigen Kenntnissen der Elfenmode sagen konnte). Er fand eine schimmernde graue Hose und ein weißes Hemd mit langen, weiten Ärmeln. »Soll ich noch nach was anderem suchen? Nach Schuhen?«
    »Übertreib’s nicht. Außerdem willst du nicht reich aussehen, bloß anders als vorher. Krempel dir die Hemdsärmel hoch, dann gehen wir in die dritte Klasse zurück. Du wirst ungefähr aussehen wie ein Fabrikarbeiter, der heute ein Vorstellungsgespräch hatte.«
    Theo stopfte die übrigen Sachen in den Koffer zurück und wuchtete ihn auf die Ablage, dann rollte er die zwei entwendeten Kleidungsstücke zusammen und klemmte sie sich unter den Arm. Er machte die Abteiltür auf, ließ Apfelgriebs prüfen, ob der Gang leer war, und trat hinter ihr hinaus. Die Vorhänge vor dem Abteil der jungen Frau zuckten ein ganz klein wenig, doch ansonsten schien niemand etwas zu merken. Sein jagendes Herz begann, langsamer zu schlagen – aber nicht viel.
    In der Zweiten

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