Der Blumenkrieg
Klasse blieben sie an der ersten Toilettentür stehen. »Zieh dich um!« wies Apfelgriebs ihn an. »Dann suchen wir uns einen Wagen, wo es nicht gleich so auffällt, daß du nicht vom Fahrtantritt an dort gesessen hast.«
»Du meinst, wir gehen nicht an unseren alten Platz zurück?«
»Und du setzt dich mit diesen anderen Sachen hin, die du gerade aus der Ersten Klasse gestohlen hast? Da kannst du dich auch gleich stellen.«
Als er kurz darauf wieder aus der Toilette trat, war er von der ganzen Aufregung so erschöpft, als ob er mehrere Meilen gelaufen wäre. Die Sachen paßten ihm einigermaßen, auch wenn die Hosenbeine ein wenig knapp waren. »Gut, daß ich nach dem Tod meiner Mutter ein bißchen abgenommen habe«, meinte er.
»Mein Beileid, Theo. Das mit deiner Mutter wußte ich nicht«, sagte Apfelgriebs mitfühlend. »Und jetzt sei still und geh zu.«
A pfelgriebs wählte einen Platz am Gang inmitten einer Schar schlafender Hauswichtel, jedenfalls lautete so ihre Bezeichnung – in Theos Augen sahen sie mit ihren struppigen Bärten und ihren struppigen Augenbrauen, die mindestens so dicht wie die Bärte waren, nur wie eine von vielen Zwergensorten aus. Die Landschaft draußen hatte sich während ihres Abstechers in die höheren Klassen nicht viel verändert: Der Himmel über den regennassen Wiesen war immer noch grau und trüb, so daß Theo nicht erkennen konnte, was jenseits des Dunstschleiers über dem ersten Zug niedriger Hügel lag, doch er vermutete, daß es mehr oder weniger dasselbe war.
»Meinst du, sie wird uns verraten?«
Apfelgriebs, die auf seiner Schulter eingenickt war, gab ein schläfriges Grunzen von sich. »Das Mädchen da vorne? Kann sein. Daran können wir nicht viel machen, es sei denn, du wolltest sie ermorden.«
»Nein! Aber …« Sicher, was konnten sie anders machen als abwarten? Auch wenn sie im putzigen und malerischen Elfenland waren, fuhr der Zug schnell genug, daß jeder, der absprang, sich zu Tode stürzen mußte. »Ich dachte bloß … warum hat sie nicht Alarm geschlagen? Sie hat doch gesehen, was wir machen.«
»Sie ist eine Blume – was in deren Köpfen vorgeht, weiß man nie. Wahrscheinlich hat sie das Ganze für einen Jux gehalten.«
Theo lehnte sich zurück und holte das Buch seines Großonkels heraus, doch er konnte sich nicht konzentrieren. Komm schon, Vilmos. Falls du jemals pauken mußtest, dann jetzt. Du hast zwar das College verbockt, aber das heißt noch lange nicht, daß du jetzt nicht was Wichtiges lernen kannst … Doch sein Hirn fühlte sich an wie ein Tier in einem zu kleinen Käfig. »Wo sind wir?« fragte er unvermittelt.
»Stamm und Wurzel! Kannst du einem nicht mal ein bißchen Ruhe gönnen! Schlimm genug, daß ich mit dir rumhetzen muß, da mußt du mir nicht auch noch den Schlaf klauen.« Sie legte sich um. »Wir sind nach wie vor in Groß-Eberesche, aber wir sind nahe der Grenze losgefahren. Sei froh, denn sonst könnte die Reise Tage dauern.«
»Nahe welcher Grenze?«
Sie grunzte abermals. »Und jetzt zwingt er mich auch noch, nachzudenken.« Das tat sie ein Weilchen. »Bis der Mond wieder zunimmt, sind es noch zwei Tage, stimmt’s? Wir kommen also nach Haselrute. Da wird Sternenlicht diesmal liegen.«
»Diesmal?« Er hatte zwar etwas darüber gelesen, als der Kornbock mit seinem Gepester angefangen hatte, doch es hatte ihm keinen Sinn ergeben. »Soll das heißen, eure Ortschaften sind nicht immer am selben Platz?«
»Nein, du Doofkopp. Die Ortschaften sind immer am selben Platz, bloß die Eisenbahnstationen nicht. Gut, sie sind immer am selben Platz auf der Bahnstrecke, du hast also zur Hälfte recht.«
»Was ist das für ein krauses Zeug, verdammt? Willst du mir erzählen, daß ein Ort wie der, wo wir gerade waren … daß der sich bewegt? Wie macht er das, bitte schön? Stellt er sich einfach auf die Beine und marschiert irgendwo anders hin?«
Apfelgriebs flatterte auf die Sitzlehne vor ihm und hockte sich vorsichtig dicht hinter den Wuschelkopf eines großen Wesens, das allein zwei Plätze einnahm und dessen Schnarchen Theo anfangs fälschlich für ein Schleifgeräusch von etwas gehalten hatte, das in die Zugräder geraten war.
»Paß auf.« Sie beugte sich vor und senkte die Stimme. »Schattenhof, das ist ein Pendlerort, wie schon gesagt, der um den Schattenhofer Bahnhof herum entstanden ist. Er liegt also immer – wieviel noch mal? – elf Stationen von der Stadt entfernt, egal in welcher Provinz er sich gerade befindet. Mit
Weitere Kostenlose Bücher