Der Blumenkrieg
sehr breiten Kloschüssel und einem Waschbecken mit einer kleinen Wandleiter daneben nichts enthielt und somit im ganzen nicht besonders abschreckend wirkte. »Kommst du mit rein?«
»Ich paß lieber draußen auf, daß es keine unangenehmen Überraschungen gibt.«
»Ach, Quatsch, die Tür läßt sich verriegeln. Komm mit rein! Was soll ich machen, wenn Rainfarn mich was fragt, was ich nicht weiß?«
Sie runzelte die Stirn. »Ich bin noch nie mit einem Kerl auf eine öffentliche Toilette gegangen. Außer mit meinem Papi, als ich noch ganz klein war.«
»Irgendwann ist immer das erste Mal, und diese Woche besonders häufig, wie’s scheint«, meinte Theo. »Komm schon!«
Bei geschlossener Tür wäre es mit jeder anderen zweiten Person außer Apfelgriebs unangenehm eng geworden. Sie zerrte sich ein Papierhandtuch aus dem Schlitz, breitete es am Rand des Waschbeckens aus wie eine Picknickdecke und ließ sich darauf nieder. »Wenigstens ist es nicht allzu eklig hier drin«, sagte sie. »Ich finde es furchtbar, was für einen Saustall die Leute manchmal hinterlassen.«
»Kann ich gut nachempfinden«, pflichtete Theo ihr bei.
»Nein, kannst du nicht«, widersprach sie. »Dazu müßtest du so klein sein wie ich, oder der Saustall müßte zwanzigmal schlimmer sein.«
»Ich gebe mich geschlagen.« Er betrachtete sich im Spiegel. »Ich glaube, ich werde mir Püppchens Schminke runterreiben. Sie fängt an, am Kragen zu schmieren, und außerdem sind viele Leute im Zug genauso braun wie ich.«
»Schon, aber die sind aus der Arbeiterschicht.«
»Mir egal. Es gibt hier so viele verschiedene Typen, da wird das niemandem auffallen. Ich will sie einfach weghaben.« Er wusch sich das Gesicht mit warmem Wasser und wischte sich dann mit einem Papierhandtuch – es fühlte sich eher wie Seide als wie Papier an – die paar Cremereste an den Ohren und am Kinn ab, die er übersehen hatte. Von der lästigen Schminke befreit, holte er das Etui aus seiner Jackentasche und klappte es auf. »So, jetzt geht’s los.« Er besah sich die filigrane Vogelform im Samtfutter. »Nehme ich es raus?«
»Rede einfach. Sprich mit Rainfarn.«
»Wie denn?«
»Indem du seinen Namen sagst. Sein Vorname ist Quillius.«
Theo beugte sich dicht heran, so daß das goldene Ding von seinem Atem beschlug, als er Rainfarns Namen sagte. Er probierte es noch einmal, und gleich darauf begann das Figürchen zu glänzen, als ob er es herausgenommen und in die Sonne gehalten hätte.
»Was gibt’s?« Obwohl der kleine Vogel weiterhin im Etui lag, war die Stimme in Theos Kopf, und es war unverkennbar Rainfarn. »Ich habe mich gerade zum Essen hingesetzt.«
»Es ist alles total schiefgegangen«, sagte Theo.
»Wer spricht da?«
»Jesses!« Apfelgriebs funkelte ihn böse an. Theo bemühte sich, ruhiger zu sprechen. »Kannst du dir das nicht denken? Wie viele Leute hast du in letzter Zeit sonst noch den Wölfen vorgeworfen?«
»Vilmos?« Plötzlich hatte die Stimme des Elfenedlen eine ganz andersartige Schärfe. »Was soll das heißen?«
»Dein famoser Verwandter ist …« Er stockte. Auch wenn Rainfarn ihm nicht sonderlich sympathisch war, sollte er ihm die schlimme Mitteilung doch nicht in einem solchen Ton machen. »Es ist leider etwas Schreckliches geschehen. Rufinus ist angegriffen und getötet worden.«
»Was? Wo bist du? Wie konnte das passieren?«
Theo bemühte sich, alles möglichst kurz und bündig zu erklären. Rainfarn wirkte sehr überrascht, doch falls er tief getroffen war, ließ er sich das nicht anmerken und reagierte nicht anders, als wenn der Gärtner ihn über eine vermutlich kostspielige Rasenkrankheit unterrichtet hätte.
Vielleicht bin ich ungerecht, dachte Theo. Sie sind anders als ich.
»Ist die Fee da?«
»Ist sie, ja.«
»Ich möchte auch mit ihr sprechen. Apfelgriebs?« In Theos Kopf machte es plötzlich pop. Als die kleine Elfe sich meldete, hatte er ihre Stimme ebenfalls im Ohr, als ob sie auf seiner Schulter hockte und nicht hübsch ordentlich auf einem Wegwerfhandtuch.
»Ich bin hier, Graf Rainfarn.«
»Danke, daß du geblieben bist und unserem Gast weiterhilfst. Was Junker Vilmos gesagt hat …« Er zögerte. Er wollte offenkundig fragen: »Stimmt das alles?«, befürchtete aber, Theo damit zu beleidigen. »Hast du dem noch irgend etwas hinzuzufügen?«
Vielleicht hat er doch ein bißchen was Menschliches, sagte sich Theo.
»Nicht viel, Herr. Aber wir stecken bis zur Halskrause in Schwulitäten, soviel ist
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