Der Blumenkrieg
und schrie dabei fast, um den Lärm der Räder zu übertönen. »Wir suchen unbeaufsichtigtes Gepäck. Wir müssen für dich neue Sachen stehlen, denn es könnte sein, daß jemand darauf achtet, was du anhast, wenn wir in Sternenlicht aussteigen.«
»Wir steigen aus?«
»Es ist gar nicht daran zu denken, daß wir mit diesem Zug bis zur Stadt fahren. Genausogut könnten wir eine Fahne mit deinem Namen schwenken. Wie Rainfarn sagte, muß jemand aus seinem Haus für sie arbeiten. Diese schleimigen Kerle wußten genau, mit welchem Zug du fahren wolltest, deshalb warteten sie vor dem Bahnsteig und stürzten geradewegs zu diesem Zug, als sie dich nach der Ermordung von Rainfarns Verwandtem nirgends finden konnten.«
Theo errötete verlegen. »Daran habe ich gar nicht gedacht.«
»Hab ich gemerkt. Wir steigen also aus und schauen dann, daß wir auf einem anderen Weg in die Stadt kommen oder wenigstens erst mal in einen anderen Zug.«
»Und bis dahin?«
»Gehen wir klauen. Also guck dich um, ob jemand sein Gepäck im Abteil gelassen hat. Dann wollen wir hoffen, daß der Betreffende an der Bar ist und nicht bloß auf dem Klo, aber beeilen sollten wir uns auf jeden Fall. Du brauchst normale, unauffällige Herrenkleidung, nichts übertrieben Modisches.« Sie zupfte ihn wieder einmal am Ohr. »Halt, eine Sache noch! Hol die Muschel raus, die Rainfarn dir gegeben hat, und tu so, als würdest du hineinsprechen. Das gibt uns eine Entschuldigung dafür, im Gang auf und ab zu spazieren.«
Wieder gehorchte er ihr, denn er spürte deutlich, daß es ein Unterschied war, ob er mit Apfelgriebs reiste oder mit diesem Idioten Rufinus – der zwar jetzt ein toter Idiot war, doch das war kein Grund, seine Unfähigkeit zu beschönigen. Theo versuchte, sich so zu geben wie die ganzen selbstvergessenen Geschäftsleute, denen er früher auf seinen Botengängen durch Bürohochhäuser begegnet war, Menschen, die derart in ihre Privatgespräche vertieft waren, daß Theo ihnen regelmäßig ausweichen mußte, obwohl er eine riesige Topfpflanze schleppte, während sie nur ein Telefon in der Hand hielten, das so groß war wie ein Zigarettenpäckchen. Im Dahinschlendern warf er verstohlene Blicke in die Abteile. In den meisten saß wenigstens eine Person, und allem Anschein nach gehörten diese Fahrgäste durchweg zur wohlhabenden und fast völlig flügellosen Sorte und hätten bei oberflächlichem Hinschauen ohne weiteres als Menschen durchgehen können.
»Rasch, hier rüber an die Seite!« befahl Apfelgriebs, als sie das Ende des Wagens erreichten. Sie zerrte ihn in die Lücke zwischen den Privatabteilen und der Tür zum Speisewagen. Theo lehnte sich an einen Löschschlauch und gab sich den Anschein, in ein Gespräch vertieft zu sein, als ein Schaffner mit winzigen Flügeln, bläulicher Hautfarbe und einer besorgten und beschäftigten Miene türenknallend an ihnen vorbei in Richtung des hinteren Zugteils stiefelte, ohne Theo mehr als einen flüchtigen Blick zuzuwerfen.
Als er weg war, drehte sich Theo um und ging wieder durch den Wagen zurück, wobei er weiterhin ein dringendes und hochkonzentriertes Gespräch mimte. Apfelgriebs, die vorausgesaust war, hielt plötzlich abrupt an und winkte ihm zu kommen. Da elfische Mitreisende ihn aus ihren Abteilen beobachteten, zwang er sich, nicht zu rennen, doch er fühlte sich furchtbar ungeschützt und wünschte sich inständig, er könnte irgendwo einen Platz finden und sich einfach hinter dem Buch seines Großonkels verstecken.
»Was gibt’s?« fragte er leise.
Sie deutete auf das Abteil neben ihm. Es war leer. Auf einer der beiden Gepäckablagen lag ein ziemlich großer Koffer aus einem schimmernden mitternachtsblauen Material. »Und im Abteil gegenüber sind die Vorhänge zugezogen, so daß niemand sehen wird, was wir machen«, sagte sie ihm ins Ohr. »Komm, wir gehen rein und ziehen die hier auch zu!«
Er beäugte kurz die verhängten Scheiben auf der anderen Seite, dann schlüpfte er in das leere Abteil und machte die schwarzen Vorhänge zu.
»Laß dir Zeit!« zischte Apfelgriebs. »Benimm dich so, als gehörtest du hierher, du Riesenroß!«
»Du hast leicht reden.« Er trat mit klopfendem Herzen an die Gepäckablage und zerrte den überraschend schweren Koffer herunter. »Kaum vorstellbar, daß irgendwer auf der Welt weniger hierhergehören könnte als ich.«
»Du hast ein bißchen was von einer Heulsuse, Theo, weißt du das?«
»Und du hast ein bißchen was von einer … Meckerliese.«
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