Der Blumenkrieg
umkreiste ihn ungeduldig. »Der erste Fürst Rose oder vielleicht Ehrenpreis, einer von der Bagage. Komm jetzt!«
Theo warf noch einen letzten Blick auf das scharfgeschnittene Gesicht. Wenn der Dargestellte nicht eines der arrogantesten Geschöpfe gewesen war, die jemals geatmet hatten, dann hatte der Künstler ihm einen schlechten Dienst erwiesen.
»… Kalt«, sagte eine müde, unendlich traurige Stimme. Theo fuhr zusammen. »So … kalt …«
Mit klopfendem Herzen sah er sich um. »Mein Gott! Die Statue hat gerade mit mir geredet!« Die Stimme hatte Meilen entfernt und doch wie in seinem Kopf geklungen.
»Nein, hat sie nicht.« Apfelgriebs war zu ihm zurückgeflitzt. »Komm endlich!«
»Doch! Sie hat mit mir geredet! Sie hat ›kalt‹ gesagt!«
»Das war nicht die Statue. Schau, als sie hier den letzten Rest des Waldes abgeholzt haben, um den Park anzulegen, da sind die Dryaden, die Baumnymphen … na ja, ihre Bäume wurden alle vernichtet. Einige sind aus Protest in die Statuen geschlüpft, aber das hat ihnen nichts genützt. Dort stecken sie heute noch.« Sie schüttelte den Kopf. »Kann nicht angenehm für sie sein.«
»Wie lange ist das her?« Er zitterte noch immer – die Stimme hatte sich so verloren, so todunglücklich angehört.
»Wenigstens fünfzig Jahre müssen es sein, vielleicht hundert. Niemand hat sich darum geschert. Traurige Sache, denke ich mal, aber was soll man machen? So, und jetzt komm in die Gänge!«
Er mußte sich noch mehrmals nach der silbern schimmernden Figur umschauen. Fünfzig Jahre oder mehr! Vielleicht war es nur Einbildung, aber er meinte, immer noch ein schwaches, klägliches Echo zu hören, als er Apfelgriebs einholte. »Wie kann man sich damit abfinden? Das ist doch … grauenhaft!«
»Niemand, der hier in der Gegend lebt, bleibt lange genug stehen, um sie zu hören. Man weiß es bloß irgendwie. Wie dem auch sei, wir sind da.«
Theo blickte von der Kuppe des Wiesenhügels auf einen riesigen Gebäudekomplex am Rand des Parks, den größten, den er bis dahin gesehen hatte, so groß, daß er eine Fläche von vielleicht vier Häuserblocks einnahm und daß der gesamte Rauhreifpark gewissermaßen seinen Vorgarten bildete. Der Hauptturm war etwa dreißig bis vierzig Stockwerke hoch, womit er jedoch vom Turm der Löwenmäuler und zwei oder drei anderen, an denen sie vorbeigekommen waren, übertroffen wurde. Allerdings waren drei der vier Ecken des Komplexes ebenfalls von Türmen besetzt, die alle ungefähr halb so hoch waren wie der Hauptturm, so daß die Anlage insgesamt ein wenig wie der Pyramidenbezirk in Gizeh aussah.
Wie ein Friedhof voller Monumente. Die Begegnung mit der Dryade hatte Theo tief verstört – er konnte immer noch ihre Stimme hören, die ermattete Fassungslosigkeit eines verlassenen Kindes.
»Die Narzissen-Residenz«, verkündete Apfelgriebs. »Obwohl sie eigentlich nur das Turmhaus in der Mitte ist. Die anderen Türme sind Jonquille, Tazette, Triandrus, und dort drüben ist das Tagungszentrum.« Die vierte Ecke, die einzige ohne Turm, wurde von einer weitläufigen Anlage niedriger Gebäude eingenommen.
»Herrje«, sagte er. »Das gehört alles einer einzigen Familie? Das ist ja riesig!«
»Es ist eine große, mächtige Familie«, entgegnete sie, »die praktisch die Kriecher ganz allein finanziert. Wenn sie nicht wäre …« Sie verstummte. Theo begriff, daß sie es für besser hielt, den Satz nicht zu beenden.
»Wenn sie nicht wäre, was dann? Dann wäre dein Volk unter Umständen schon eifrig dabei, mein Volk auszurotten?«
»Ich bin müde, Theo. Sehen wir zu, daß wir von der Straße wegkommen, bevor uns doch noch jemand abfängt. Wärst du in der momentanen Situation nicht lieber hinter diesen Mauern als davor?«
Da war etwas dran. Er hatte Rainfarns Haus vor noch nicht vierundzwanzig Stunden verlassen und kam sich vor, als wäre er schon seit Wochen auf der Flucht. Er war erschöpft, verschreckt und hatte keinen Zweifel, daß er zudem ziemlich übel roch. Einer von diesen Hohlrücken konnte ihn vermutlich auf eine Meile Entfernung wittern. »Okay, stimmt schon. Gehen wir.«
Sie brachte ihn vor einen Tunnel, der kaum höher war als er und durch eine mindestens sechs Meter dicke Außenmauer hindurchführte. »Zur Wachstube geht es hier durch.«
»Ist das nicht eine Schwachstelle in den Sicherheitsvorkehrungen?«
»Hast du schon mal einen Spritzbeutel gesehen?« fragte Apfelgriebs zurück. »Du weißt schon, wo man draufdrückt und am Ende
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