Der Blumenkrieg
Verbindung mit einem Sproß aus einem der Blumengeschlechter darstellten.
»Da kann ich schließlich was gegen machen, wenn ich will«, beharrte sie. »Die Leute lassen sich ständig ihre Flügel abnehmen.«
»Manche sogar mehr als einmal«, bemerkte eine andere Schwester. »Herr Lungenkraut zum Beispiel. Seine wachsen immer wieder nach, auch wenn er sie noch so oft stutzen läßt.« Die übrigen lachten. Der Verwaltungsdirektor des Sanatoriums war nicht besonders beliebt, und sein Ehrgeiz war ein häufiges Gesprächsthema.
»Was du brauchst, wenn du einsam bist, ist ein Mensch«, sagte eine der älteren Schwestern. »Stinkend und haarig und wild. Ach, so einer käme mir recht. Ich hab schon seit Jahrhunderten keinen mehr gehabt.«
»Einer von denen ist auch nicht leichter zu kriegen als einer aus den Sechs Häusern, jedenfalls heutzutage«, meinte eine andere.
»Hinzu kommt, daß etliche Damen aus den hohen Häusern dir sofort einen Tattermann auf den Hals hetzen, falls der junge Primel dich auch nur einmal zu lange anschaut«, sagte die ältere Schwester jovial. »Das ist mal einem Dienstmädchen passiert, das ich kenne. Sie haben es nicht gern, wenn unsereins in ihrem Revier wildert.«
»Ach«, sagte das Bauernmädchen errötend, »ich weiß ja, daß letzten Endes nichts draus wird, aber man wird doch mal träumen dürfen, oder?«
Wenigstens dem konnten alle zustimmen. Und daß der Bruder der stummen Primeltochter einer war, von dem sich zu träumen lohnte, gaben die meisten auch ohne weiteres zu.
E rephine?« sagte er, als könnte er sie bei etwas stören. Unbewegt und kalt wie eine Statue saß sie in ihrem Sessel. »Guten Mabonabend, meine Liebe. Ich bin’s, Caradenus. Ich wollte dich besuchen kommen.«
Er schloß hinter sich die Tür und vergewisserte sich, daß sie zu war. Im Flur hatten sich ungewöhnlich viele Krankenschwestern getummelt, als er zum Zimmer seiner Schwester gegangen war, alle krampfhaft bemüht, ihn nicht allzu offensichtlich zu beobachten, aber mit mäßigem Erfolg. Es war nicht recht glaubhaft, daß sie alle zur selben Zeit im selben Teil des Hauses irgendwelche Aufgaben zu versehen hatten. Seit einiger Zeit schwamm er in ziemlich abseitigen politischen Gewässern, und er fragte sich, ob das Personal ihn womöglich bespitzelte. Aber wer würde einen derartigen Aufwand treiben? Die Exzisoren? Die mußten andere Sorgen haben, als sich um die Verpflichtung zu kümmern, die ihn in die Villa Zinnia führte. Sein eigener Vater? Gewiß hatten sie sich, allen Differenzen zum Trotz, nicht so weit voneinander entfernt. Nein, er konnte sich keinen Reim darauf machen. Vielleicht bildete er sich das ja nur ein. Andererseits hatten die Pflegerinnen alle so … interessiert gewirkt.
»Ich bin aus einem bestimmten Grund gekommen.« Er ergriff die kalte Hand seiner Schwester. »Ich bin in gewisse Dinge verwickelt, die mich unter Umständen eine Zeitlang daran hindern werden, dich zu besuchen.« Er rutschte ein wenig näher und senkte die Stimme, so daß man meinen konnte, er wollte einer Person, die ihn verstehen konnte, ein Geheimnis mitteilen. »Im Moment sind die Verhältnisse überall … schwierig, besonders in der Stadt. Man munkelt von einem neuen Blumenkrieg.« Er schloß die Augen, von einer großen Mattigkeit überkommen. »Ich fürchte, es könnte stimmen. Wie furchtbar das wäre – nach den langen Friedensjahren.«
Er ließ ihre Hand los, setzte sich zurück und betrachtete ihr Gesicht.
Sie starrte weiter ins Nichts. Er zwang sich zu einem Lächeln, doch es fiel ihm schwer. »Weißt du noch, wie wir beide jung waren und unsere Verwandten auf der Bibernellenhöhe in Erlenspitz besuchten, dem großen Haus in den Hügeln? Du hattest Angst, weil jemand dir gesagt hatte, dort im Wald gebe es Mantichoras, und ich sagte, ich würde dich beschützen, ich fürchtete mich vor nichts.« Er schüttelte den Kopf. »Ich war nur ein dummer Junge, noch mit dem ersten Schwert und ein paar Zaubern, die ich gelernt hatte. Ich versprach dir, dafür zu sorgen, daß dir nie etwas zustößt. Niemals. Ich versprach es dir.«
Eine ganze Weile konnte er nicht weitersprechen.
»Der alte Goblin«, sagte er schließlich. »Gerade ist er mir wieder eingefallen. Kannst du dich noch an ihn erinnern? Wir trafen ihn auf der Freudenfeuerstraße. Er ritt mit seinen Kaninchenfellen zum Markt, und du durftest sein Einhorn streicheln.« Er quälte sich abermals ein Lächeln ab. »Du warst so tapfer! Es hatte
Weitere Kostenlose Bücher