Der Blumenkrieg
breiten Durchgangsstraße – die Nachtluft war beißend kalt geworden –, während Apfelgriebs schnuppernd den Wind prüfte. »Ich glaube nicht, daß wir verfolgt werden.«
»Verfolgt?« Er blickte auf die stummen Mauern und dunklen Fenster ringsherum. Wobei ihm auffiel, daß es gar nicht viele Fenster gab, wenigstens nicht parterre. »Es ist überhaupt niemand hier.«
»In diesem Teil von Abendstund ist das normal. Keine Restaurants, kein Nachtleben, bloß Regierungsgebäude und einige der größeren Residenztürme. Sobald am Abend alle nach Hause gefahren sind, ist es hier ziemlich ruhig. Gehen wir.«
Sie führte ihn eine Straße mit hohen Gebäuden hinunter, die wie alles in dieser Stadt fremdartiger Formen und Farben dem, was er kannte, ähnlich und unähnlich zugleich war. Viele der elfischen Bürokomplexe waren klotzige Bauten wie alte Burgen, über deren umgebende Mauern nur die Spitzen der Häuser dahinter zu sehen waren, und obwohl sie überall helle Scheinwerfer hatten und recht modern wirkende Wachstuben in den wuchtigen Toren, sahen sie nicht viel anders aus als die mittelalterlichen Bauten seiner Welt, die noch bewohnt waren. Theo erinnerte sich, daß er auf seiner einzigen Europareise mit Cat viele ähnliche Mischformen gesehen hatte, uralte museumsreife Gemäuer, die mit hypermodernen technischen Anlagen ausgestattet waren.
Die Familienwohnsitze – die »Residenztürme«, wie Apfelgriebs sie nannte – waren ein wenig anders. Zum einen waren sie im Unterschied zu den Bürogebäuden, die im Durchschnitt fünf oder sechs Stockwerke hatten, doppelt bis zehnmal so hoch. Einer der ersten Residenztürme, an denen sie vorbeikamen, ein mächtiges, von schräg nach oben strahlenden Scheinwerfern erleuchtetes Bauwerk, das Apfelgriebs ihm als die Löwenmaul-Residenz bezeichnete, war ein gutes Beispiel für die Art: Er war nicht rund, sondern vieleckig, und obwohl die oberen Stockwerke normale Fensterzeilen hatten, gab es bis in etwa fünfzehn Meter Höhe überhaupt keine, wahrscheinlich aus Sicherheitsgründen. Der einzige Eingang in das Gebäude schien ein weit von der Straße zurückgesetztes, massiges Pförtnerhaus in einer dicken Mauer zu sein. Doch trotz der unten fehlenden Fenster war der Turm nicht kahl: Die oberen Fenster waren unterschiedlich groß und geformt, und die freien Wandflächen waren zum größten Teil mit Figurenwerk geschmückt, das an die Wasserspeier und Heiligenbilder einer gotischen Kathedrale erinnerte. Selbst im grellen Scheinwerferlicht konnte Theo nicht genau erkennen, was die Steinplastiken darstellen sollten, aber sie schienen sich in schrägen Streifen über die ihm zugewandte Seite des Turms zu ziehen, so als ob das Ganze eine einzige um das Bauwerk herumlaufende Bildspirale wäre.
Er fragte Apfelgriebs, was die Figuren darstellen sollten.
»Größtenteils das Niedermetzeln von Goblins«, erklärte sie. »Die Löwenmäuler sind im letzten Goblinkrieg zu Ruhm und Reichtum gekommen. Du solltest mal die Phlox-Residenz sehen. Die Phloxe taten sich in den Kriegen gegen die Riesen hervor. Sie ließen Skulpturen von Riesenköpfen und -schultern in das Fundament einfügen, und die großen Kerle sehen nicht gerade so aus, als ob ihnen die Arbeit als Hausträger sonderlich zusagen würde.« Ihre Stimme bekam einen nachdenklichen Ton. »Wenigstens denke ich, daß es Skulpturen sind.«
Sie führte ihn über weitläufige gemähte Rasenflächen mit gewundenen Pfaden, die im bläulichen Licht der Straßenlaternen alle gänzlich leer aussahen. »Der Rauhreifpark«, teilte sie ihm mit.
»Müssen wir die Augen nach Werwölfen offenhalten?« erkundigte er sich nervös.
»Ich glaube, sie haben gerade die neuen Beete mit Wolfseisenhut angelegt – siehst du dort drüben? Für die Innenstadt sorgen sie besser als für die Stadtteile, in denen wir Arbeitsleute leben.«
Theo traute dem Frieden nicht. Man konnte nicht wissen, ob ein mißgelaunter Gärtner statt Wolfseisenhut nicht versehentlich Efeu pflanzte, und so spitzte er die Ohren, ob er vielleicht doch etwas Wölfisches im Gebüsch hörte. Vor einer Statue blieb er stehen. Zum erstenmal konnte er eine aus der Nähe betrachten. Sie bestand aus einem unbekannten silbrigen Metall und schien einen Elfenfürsten in voller Rüstung darzustellen, in der Armbeuge seinen Schwanenhelm. Er blickte in derselben heroischen Pose wie viele Statuen in Theos Welt über den Park hinaus.
»Wer ist das?«
»Woher soll ich das wissen?« Apfelgriebs
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