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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Der kleine Bahnsteig war noch leer.
    Die Dunkelheit legte sich immer dichter um sie. Theo machte sich schon Sorgen, in den Tunnel könnte Rauch einströmen und er hätte inzwischen so viel eingeatmet, daß er ihn nicht mehr riechen, sondern das Dünnerwerden der Luft nur an der Verschlechterung der Sichtverhältnisse erahnen konnte. »Scheiße«, sagte er, als ihm endlich die Ursache aufging. »Dein kleines Leuchtding. Es geht aus.«
    »Es ist nicht dazu gemacht, so lange in Betrieb zu sein. Man benutzt es, um sich im Hörsaal Notizen zu machen.« Wuschel verstellte das Licht, so daß es statt einer leuchtenden Kugel eher dem Strahl einer Taschenlampe glich, doch heller wurde es dadurch auch nicht.
    Und wenn es demnächst ganz ausgeht? mußte Theo unwillkürlich denken. Wenn wir dann blind durch diesen pechschwarzen Tunnel tappen … hinter uns dieses Ungeheuer …? Er lauschte angestrengt nach dem Knirschen von Stiefeln hinter ihnen, doch ihre eigenen schlurfenden Füße machten zuviel Lärm. Er blieb stehen, um besser hören zu können.
    »Blut und Eisen, hast du den Verstand verloren?« Wuschel wankte zurück, packte Theo am Ärmel und zerrte. »Entweder er ist hinter uns oder nicht. Was nützt es uns, hier stehenzubleiben und zu lauschen?«
    Theo ließ sich weiterziehen.
    Das Licht von Wuschels kleiner Kugel war mittlerweile ganz schwach geworden, und so bemerkte er erst nach einer Weile, daß die Decke des Tunnels verschwunden war und sie wieder im Freien waren – jedenfalls so weit im Freien, wie man so tief in der Erde sein konnte. Es war zu dunkel, um viel zu erkennen, doch er hatte den Eindruck von großer Weite und meinte, etwas zu schnuppern, das natürlicher roch als der Tunnel, etwas Gärendes wie von Schlamm und wachsenden Dingen und … Wasser?
    »Es ist ein Kanal, ein Teil des Ys«, bestätigte Wuschel. »Oder vielmehr, es sind Zuflüsse in den Ys – alles hier unten ist praktisch ein großes Kanalisationssystem.«
    »Und ich glaube, ich sehe auch schon kleine Lichter dort vorne.« Theo spähte genauer hin. Die leuchtenden Pünktchen stiegen zu beiden Seiten der Schienen empor, als ob er und der Querz in ein ausschließlich für Glühwürmchen gebautes Amphitheater einmarschierten.
    »Das ist Tiefengrund, die Koboldstadt«, sagte Wuschel. »Na ja, es leben nicht nur Kobolde dort, sondern auch alles mögliche andere Volk, das oben in der Stadt keine Wohnung mehr findet. Goblins, Hämmerlinge, nicht gemeldete Butzen …«
    »Würden die uns helfen?«
    »Machst du Witze? Wahrscheinlich sind wir bis jetzt nur deshalb noch nicht ausgeraubt und ermordet worden, weil sie sich alle vor lauter Schreck über die Vorgänge da oben verkrochen haben.«
    »Und wohin gehen wir dann?« Der Anblick der vielen kleinen Lichter gefiel Theo auf einmal gar nicht mehr, und noch weniger gefielen ihm die fernen pfeifenden Schreie, die kurz darauf an den oberen Rändern des unsichtbaren Tals einsetzten und sich anhörten, als ob Coyoten sich gegenseitig von verschiedenen Wüstengipfeln aus zuheulten.
    »Das weiß ich nicht. Aber wohin wir auch gehen, es wird in jedem Falle besser sein, als hier stehenzubleiben und darauf zu warten, daß dieser lebende Leichnam dich erwischt, oder?«
    Theo konnte nur zustimmend knurren. Dieser Tag war ohnehin schon der schlimmste Tag seines Lebens, und jetzt mußte er auch noch seinen todmüden Körper hier durch Tunnel und Kanäle schleifen. Er hatte es satt, Schmerzen zu haben, auf den Beinen zu sein, verfolgt zu werden, satt, satt, satt. Er hatte die Dunkelheit satt. Das einzige, was ich nicht satt habe, ist vermutlich das Leben, dachte er. Deshalb tue ich mir diesen ganzen andern Irrsinn an.
    Die Schreie aus der funkelnden Finsternis in den höheren Regionen der Koboldstadt wurden immer lauter und eindringlicher. Theo bückte sich, um ein paar ordentliche Wurfsteine vom Gleisbett aufzuheben, und dabei schoß ihm das Blut in den Kopf, so daß er beinahe vornübergekippt wäre. Da wurden die Pfeiftöne auf einmal höher, schriller, wirrer. Gleich darauf trat unter den unsichtbaren Beobachtern eine Stille ein, die hinter Theo und Wuschel Segge anfing und sich über sie legte wie eine Decke. Theo sah sich verwundert um, als die zahllosen winzigen Lichter auszugehen begannen.
    »Ich denke, sie haben gerade unseren Freund bemerkt«, flüsterte Wuschel. »Und sie können ihn genausowenig leiden wie wir.«
    Wenigstens dafür sollte er dankbar sein, dachte sich Theo, daß ihr Widersacher sich

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