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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Gleisen zurück und auf die Eisenbahnbrücke, obwohl ihre schmerzenden Muskeln zu versagen drohten und sie alle paar Schritte stolperten. Theo bemühte sich angestrengt, nicht an den Abstand zum Wasser zu denken, das unter ihnen an die Pfeiler klatschte, und auch nicht daran, was unter der undurchsichtigen Oberfläche schwimmen mochte. Sie waren kaum zwanzig Meter gegangen, als auf einmal die Gleise unter ihnen zu vibrieren begannen und ein leises, aber deutliches Rumsen ertönte, das langsam lauter wurde.
    »Schritte?« hauchte Theo erschrocken. Sie schauten sich um: Keine Spur von ihrem Verfolger. Wuschel leuchtete mit der Lampe in die andere Richtung, doch auch da war nichts zu sehen. Theo ging ein paar Schritte zurück und spähte in die Ferne. Die kleine Kugel gab immerhin noch genug Licht ab, daß er eigentlich, dachte er, die Ursache einer solchen Erschütterung hätte erkennen müssen.
    »Theo …« Wuschel klang sehr kleinlaut.
    Als Theo herumwirbelte, sah er eine albtraumartige Erscheinung, die gerade vor ihnen über das Brückengeländer kletterte, erstaunlich behende für ihren kolossalen Umfang. Das Wesen hatte eine ungefähr menschenähnliche Form und blasse, warzige Haut, die wie die Unterseite eines Leuchtpilzes schimmerte. Es war nur wenig größer als ein ausgewachsener Mann, aber gut und gern fünfmal so schwer, denn als es jetzt keck auf sie zugewatschelt kam, schien es fast die ganze Breite der Brücke einzunehmen. Es blinzelte ein paarmal mit kleinen, rosinenschwarzen Äuglein, schien sich aber ansonsten nicht an ihrem Licht zu stören. Das weiche Schlabbermaul des Scheusals sah groß genug aus, um Theo bis zu den Schultern zu verschlingen. Es blieb vor ihnen stehen, doch sein Körper wackelte noch eine Weile weiter wie Gelatine – es war schwer zu sagen, ob die knollenförmige Kreatur ein einziger Fettkloß war oder ob bloß die Haut sich wulstete und faltete wie bei einem Nashorn. Gewiß war nur, daß das Ding ungeheuer dick und unglaublich häßlich war und daß es stank wie ein Watt bei Ebbe.
    »Mjam«, sagte es mit einer tiefen, blubbernden Stimme. »Fremde auf meiner Brücke. Was habt ihr für mich?«
    »Ich habe diese Brücke schon hundertmal mit dem Zug überquert und mußte dir nie etwas geben!« Wuschels gerechter Zorn verlor durch das ängstliche Zittern in seiner Stimme etwas von seiner Wirkung.
    »Tja, ich habe mit der Bahn eine Abmachung«, erwiderte der Koloß gutgelaunt. »Familienrechte. Wir besitzen diese Brücke schon seit Jahrhunderten, und ich bekomme regelmäßig meinen kleinen Anteil. Fußgänger jedoch fallen nicht darunter. Aber weißt du was? Du gibst mir den Kopf von deinem Kumpel, und ich lasse dich dafür drei volle Jahre lang unbehelligt passieren.« Er beugte sich vor und begutachtete Theo, der starr vor Angst war und selbst dann keinen Muskel bewegte, als der gräßliche Atem ihm ins Gesicht schlug. »Na ja, zwei Jahre«, korrigierte er sich.
    »Wir müssen nur dieses eine Mal hinüber«, versuchte Wuschel zu feilschen. »Wir werden von einem ganz schrecklichen Ungeheuer verfolgt.«
    »Schrecklicher als ich?« Das Scheusal grinste und bleckte schiefe Zähne von unterschiedlicher Länge. »Nicht möglich! Du willst doch einen alten Troll nicht in der Ehre kränken.«
    »Könnte durchaus sein«, sagte Wuschel, hörbar um einen ruhigen Ton bemüht. »Und es handelt nicht.«
    »Das werden wir ja sehen.« Der Troll wirkte fasziniert. »Aber erst mal zu euch, wenn ihr so in Eile seid.« Er kratzte sich mit einem breiten, gesprungenen Fingernagel am Kinn beziehungsweise an dem formlosen lederigen Fleischsack, der ihm an der entsprechenden Stelle herunterhing. »Also, laßt mich nachdenken …«
    »Tut es mein Eisenbahnpaß nicht vielleicht?« fragte Wuschel hoffnungsvoll.
    Der Troll stieß ein nach Schwefel stinkendes, zischendes Lachen aus. »Eisenbahnpaß! Der war gut.« Er legte wieder die Klaue ans Kinn. »Wißt ihr was? Ich kann es mir leisten, großzügig zu sein, weil die Zeiten gerade recht gut sind. Ich kriege nicht nur meinen Anteil von der Bahn, sondern jetzt, wo diese vielen Leute von oben hier runtergezogen sind, spielen immer irgendwelche Kleinen auf den Gleisen, so daß dieses Jahr für mich bis jetzt das reinste Fest war. Und wenn sie sich dort oben gegenseitig in die Luft sprengen, wird es nur noch besser. Darum will ich es für euch billig machen. Ein Finger.«
    »Ein Finger …« Theo hatte gedacht, es könnte nicht mehr schlimmer kommen. »Du willst

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