Der Blumenkrieg
anscheinend Zeit ließ. Er spähte zurück, weil er gern gewußt hätte, wo die jähe Verdunkelung eingesetzt hatte. »Er kann allerhöchstens fünfhundert Meter entfernt sein«, murmelte er. »Der Kerl ist langsam, aber er hält niemals inne – ich glaube, er wird nicht einmal müde. Lieber Himmel, er muß mit seinen rausgefallenen Innereien durch halb Elfien bis zur Narzissen-Residenz gelatscht sein …!« Er drehte sich wieder um und blickte erschrocken auf. Im ersterbenden Licht von Wuschels Kugel sah er ein kurzes Stück vor ihnen etwas aufragen, das nach hohen Türmen aussah. »Was in aller Welt ist das?« zischte er.
»Eine Eisenbahnbrücke.«
Theo hatte einen Widerwillen dagegen, auf Eisenbahnbrücken spazierenzugehen. Er war auf einer beinahe einmal von einem Zug erwischt worden, als er mit Johnny und zwei Kumpeln aus einer ihrer früheren Bands bekifft in den Hügeln von Marin County herumgehüpft war, und obwohl er in späteren Jahren darüber gelacht hatte, war er die Erinnerung an die Sekunden nie losgeworden, als er nicht gewußt hatte, ob er rechtzeitig herunterkommen würde oder ob er in eine zehn oder fünfzehn Meter tiefe Felsenschlucht springen mußte. Jetzt zeichnete sich vor ihnen eine ganz ähnliche Brücke mit schemenhaft zu erkennenden Strebepfeilern ab, ein hoher Bogen über ein dunkles Wasser, zu dem das funzelige Licht nicht hinunterreichte und das daher so schwarz war wie der Sternenlose Weltraum.
»Müssen wir da rüber?«
»Falls du nicht umkehren und versuchen willst, unseren Verfolger niederzuringen, ja, dann müssen wir wohl.« Wuschels Stimme war hart vor Schmerz, doch Theo war nicht so leicht zum Schweigen zu bringen.
»Wie lang ist sie?«
»Wie lang? Ich bin sonst immer nur mit dem Zug drübergefahren. Nicht so lang, ein paar hundert Schritte, würde ich sagen.«
»Gut.« Theo kraxelte über die Gleisböschung und begann, den Bahndamm hinunterzusteigen. »Dann können wir statt dessen hinüberschwimmen.« Er neigte lauschend den Kopf. Das Wasser in der Tiefe floß nahezu geräuschlos – die Strömung konnte nicht stark sein.
»Du bist wirklich verrückt.« Wuschel stolperte hinter ihm her und packte ihn am Arm. »Schau mal da, Theo! Schau!«
Theo verstand nicht, was er meinte. »Was soll ich schauen? Die Brücke? Die sehe ich nur zu gut.«
»Nein, schau, was du da am Handgelenk hast, du Narr!« Wuschel schob den Ärmel von Theos Jacke hoch und brachte den Grashalm zum Vorschein. »Das ist ein Nymphenband. Hast du das vergessen?«
Es machte Theo nervös, wie laut Wuschel auf einmal wurde. »Hatte ich irgendwie, ja. Na und?«
»Na und? Du gehörst den Nymphen. Wenn du das nächste Mal in irgendein Wasser steigst, das größer ist als eine Badewanne, haben sie dich. Gnadenlos. Und sie werden sich auf keinen Handel mit dir einlassen, es sei denn, du hättest auf unserer kleinen Wanderung heute ein paar sagenhaft tolle Talismane aufgeklaubt, ohne daß ich etwas davon gemerkt hätte.«
»Was willst du damit sagen? Daß … daß ich ihnen mein Leben schulde? Aber ich habe ihnen nie etwas Derartiges versprochen!«
»Du nicht, aber Apfelgriebs – um dich zu retten. Ein Nymphenband ist von alters her ein letzter Ausweg in der Not. Man hat dann die Möglichkeit, auszuziehen und etwas Wertvolles zu finden, womit man sich von der Knechtschaft freikaufen kann.« Er schüttelte den Kopf. »Du hast vielleicht Elfenblut in den Adern, Theo Vilmos, aber du hast keine Ahnung, nicht die geringste. In Elfien sind Handel und Vertrag oberstes Gesetz. Unsere ganze Wissenschaft arbeitet mit Verträgen, nicht mit den albernen Zufallsverfahren, an die man in deiner Welt glaubt. Du bittest, du bekommst, du bezahlst dafür.«
»Das heißt, wenn ich hier ins Wasser springe …?«
»Dann hat diejenige, die hier lebt, ein Anrecht auf dich. Und ich kann dir versichern, das wäre keine hübsche kleine Flußnymphe wie die neulich, vor denen Apfelgriebs dich gerettet hat, o nein. Es wäre ein Wesen, das tief auf dem Grund dieses schwarzen Wassers wohnt und alles trinkt und frißt, was die Stadt ausspeit.«
Langsam bekam Theo es mit der Angst zu tun, nicht nur wegen des unschönen Bildes, das Wuschel da malte: Sie hatten schon viel zu lange dort gestanden und geredet. »Na schön«, wisperte er, »du sollst deinen Willen haben. Wir können nicht schwimmen. Wir müssen die Brücke überqueren. Aber wir müssen uns beeilen, denn dieses Ding kann uns jeden Augenblick einholen.«
Sie hasteten zu den
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