Der Blumenkrieg
Dort landen wir bloß im Turm und kommen nicht weiter, bis die ganze verdammte Scheiße auf uns runterkracht! Hier haben wir wenigstens eine Chance, an dem Kerl vorbeizukommen, raus an die Luft …« Theo wollte nicht in einem solchen Loch sterben, und er wollte ganz bestimmt nicht in der rauchenden Ruine der Narzissen-Residenz ersticken, nachdem er eben erst mit knapper Not daraus entkommen war.
»Nein«, kreischte der Querz, »die Treppe führt hinunter! Da unten ist eine Bahnstation!«
Theo starrte ihn begriffsstutzig an. Der falsche Schutzmann kam rasch, aber nicht übereilt auf sie zu. Seine Arme waren weit ausgebreitet, und einen Moment lang hatte Theo die Halluzination, daß sie von einer Garagenwand zur anderen reichten. Wuschel riß ihn so heftig am Ellbogen, daß er beinahe vornübergefallen wäre. Mutlos und hilflos ließ er sich zu dem blockhausartigen Bau in der Mitte der Garage ziehen. Die Tür war abgeschlossen, das wußte Theo so sicher, wie er seinen Namen kannte. Dann mußte er um das Häuschen herum mit dem hungrigen Ding Räuber und Gendarm spielen wie das aus seinem Backsteinhaus ausgesperrte Schweinchen Schlau, dem der hungrige Wolf immer näher kam, und zuletzt, wenn er vor Erschöpfung nicht mehr konnte, würde es ihn unerbittlich packen.
Die Tür war nicht abgeschlossen.
Als sie sie hinter sich zugeschlagen hatten, vertat Wuschel wertvolle Sekunden damit, nach einem Riegel zu suchen, der nicht existierte. Schließlich gaben sie es auf.
Wieder hieß es, Treppen hinunterspringen, -stolpern und manchmal auch -stürzen, umflackert vom nahezu nutzlosen Licht von Wuschels Taschenlampe. Treppen. Das ist die Hölle. Die Hölle besteht aus Treppen, war alles, was Theo denken konnte. Für einen verdammten Aufzug würde ich meine Seele verkaufen.
Aber ich habe gar keine Seele, nicht wahr? Ich bin irgend so ein Elf.
Okay, dann eben eine Rolltreppe.
»Meinst du wirklich, daß da unten jetzt Züge fahren?« keuchte er. Über ihnen hörten sie die Tür aufknarren.
»Natürlich fahren jetzt keine Züge, wo der ganze Komplex brennt! Aber es gibt Schienen … und Tunnel und …« Wuschel verlor das Gleichgewicht, fing sich und stöhnte vor Schmerz.
»Dein Bein, das hatte ich ganz vergessen.« Theo griff ihm unter den Arm. »Soll ich dich tragen?«
»Das kannst du nicht. Hilf mir einfach. Ich schaffe es schon.«
Auf den letzten zwei Treppen waren beide schon ganz außer Atem, und als sie auf den Bahnsteig hinausschossen, rutschten sie aus, rissen sich gegenseitig um und fielen auf Hände und Knie. Das verglimmende Licht von Wuschels Kugel ließ an beiden Enden der kleinen Station dunkle Tunnellöcher erkennen, doch weiter drang es nicht.
»Hör mal, von dir will das Ding gar nichts«, flüsterte Theo, als er dem Querz aufhalf. Sie hörten ein gleichmäßiges Stiefeltrappen die Stufen herunterkommen, noch ein gutes Stück weit weg, aber durch das Echo verstärkt. »Es will nur mich. Es wird dich wahrscheinlich nicht mal bemerken. Du wartest einfach, bis es hinter mir herkommt, dann kannst du wieder die Treppe hinaufgehen.«
»Sei still!« sagte Wuschel matt. »Du taugst nicht zum Helden. Los, fliehen wir über die Gleise!«
»In welche Richtung?«
»Nicht in die, wo wahrscheinlich die halbe Narzissen-Residenz auf sie heruntergekracht ist, meinst du nicht auch?« Wuschel Segge kroch an die Bahnsteigkante und machte Anstalten, sich auf den zwei Meter tiefer gelegenen Schienenstrang hinunterzulassen. Theo, der trotz seiner zahllosen Prellungen und Abschürfungen und seiner wundgescheuerten Lungen in einer viel besseren Verfassung war als sein Gefährte und zudem mindestens dreißig Zentimeter größer, kletterte hastig voraus, damit er ihm behilflich sein konnte. Dieser kleine Querz, ging es ihm durch den Kopf, war noch einer, der ihn kaum kannte und der dennoch sein Leben für ihn riskierte.
»Danke«, flüsterte er, als er Wuschel auf den Gleisen abgesetzt hatte.
»Sieh zu, daß wir nicht sterben. Das wäre Dank genug.«
Kies knirschte unter ihren Füßen, während sie auf den Tunnel zuhumpelten, und das an den Wänden flackernde Licht ließ alles verzerrt erscheinen.
»Bei mir zu Hause müßte man befürchten, auf die stromführende Schiene zu treten. Gibt es hier auch so was?«
Wuschel schnaubte. »Nein, nicht so was leicht zu Vermeidendes.«
»Und bist du dir wirklich sicher, daß keine Züge fahren?«
»Falls ich mich irre, wirst du sie hören.«
Theo warf einen raschen Blick zurück.
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