Der Blumenkrieg
für Werke?«
»Die Kraftwerke natürlich. Wo die wissenschaftliche Energie für die Beleuchtung und die Kutschen und die Züge und … überhaupt für alles erzeugt wird. Und so verabschiedete das Parlament die Krafterzeugungsgesetze, und die Rekrutierung begann.«
»Was? Jetzt komm ich schon wieder nicht mehr mit. Eine Rekrutierung, das ist doch die Einberufung zum Wehrdienst, oder? Da mußt du zum Militär, ob du willst oder nicht.«
»Bedeutet es das in deiner Welt?« Wuschel nickte. »Ich wußte, daß ihr den Ausdruck benutzt, aber da eure Wissenschaft so anders ist – ehrlich gesagt ist es in unseren Augen gar keine Wissenschaft –, konnte ich mir nicht vorstellen, was es bedeutet, und selbst in den Universitätsbibliotheken findet man nur schwer zuverlässige Texte.«
»Ich blicke immer noch nicht durch. Warum werden hier Leute … rekrutiert? Nicht, weil sie zum Militär sollen, wenn ich es recht verstehe.«
Wuschel schüttelte den Kopf. »Nein. Weißt du das wirklich nicht? Entschuldige, aber solche Sachen lernt bei uns jedes Schulkind, selbst wenn es hinterher ein Leben lang nur Schafe hütet. Die Rekrutierung entscheidet, wer in die Kraftwerke kommt.«
»Hört sich so schlecht nicht an, immerhin ein fester Arbeitsplatz. Wieso müssen die Leute dazu gezwungen werden?«
Wuschel Segge blieb stehen. »Theo, wenn ich sage, daß Leute für die Kraftwerke rekrutiert werden, dann heißt das nicht, daß sie einen Arbeitsplatz bekommen, wo sie Aufsicht führen, Maschinen warten, die Buchhaltung machen. Dafür gibt es normale Angestellte, die einen ordentlichen Lohn bekommen, Leute, die abends nach Hause zu ihren Familien gehen und in Häusern oder Wohnungen leben. Nein, die Leute, die rekrutiert werden, sind diejenigen, die die Kraft erzeugen. Anders gesagt, wenn sie in der Lotterie verloren haben, werden sie in die Werke gebracht und ihnen wird die Kraft abgepreßt. Nach ein paar Jahren, allerhöchstens zehn, werden sie in den Ruhestand geschickt, aber wer im Kraftwerk gearbeitet hat, von dem ist hinterher nicht mehr viel übrig, allen Beteuerungen der Regierungspropaganda zum Trotz. ›Ich habe meine Pflicht getan, und jetzt erwartet mich ein langer, goldener Ruhestand. Danke, Energie AG Stechapfel!‹ oder wie der Laden sonst heißen mag. Ich habe ein paar der echten Überlebenden zu Gesicht bekommen, Leute aus meinem Dorf, bevor die Betreiber auf die schlaue Idee kamen, sie in speziellen Altersheimen für Kraftwerksarbeiter zu isolieren, damit ihre potentiellen Ersatzleute nicht jeden Tag auf der Dorfstraße an diesen sabbernden, tatternden Wracks vorbeigehen mußten.«
»Du meinst, daß diese Kraftwerke irgendwie … die Energie aus … aus diesen Leuten saugen? Aus lebendigen Elfen?«
»Wo sollte sie sonst herkommen?« Wieder ertönte Wuschels bitteres Lachen. »Und warum, denkst du, war meine Mutter so erpicht darauf, daß ich auf die Schule gehen durfte und von der Lotterie befreit wurde? Die moderne Krafterzeugung ist das große Wunder der Wissenschaft, Theo. ›So wenige geben so vielen so viel.‹ Der liebe, gute Fürst Narzisse, der gestern erst hübsch knusprig gebraten wurde, hat diesen Spruch erfunden. Er hatte immer eine Träne des Stolzes im Augenwinkel, wenn jemand ihm den zitierte. Er redete gern und viel über die gute alte Zeit, als die Bauernjungen noch in Scharen von den Wagen strömten, weil sie unbedingt ihren Platz in den Generatoren einnehmen und ihren Beitrag zum Wohlergehen von Elfien leisten wollten.«
Theo konnte lange nur wortlos dahingehen. Galle brannte ihm in der Kehle, und er befürchtete, daß er sich übergeben mußte, wenn er den Mund aufmachte.
A ls sie schließlich den Park und das Waldgelände endgültig verließen und auf gewundenen Kopfsteinpflasterstraßen wieder in die städtischen Niederungen kamen, eine trostlose Gegend voll kastenförmiger Lagerhäuser und genauso kastenförmiger Mietshäuser, in denen auf jedem Balkon Wäschestücke an der Leine flatterten wie Kapitulationsfahnen, war es bereits hoher Nachmittag, und Theo ging langsam der Dampf aus, mit dem er unerwarteterweise bis dahin marschiert war. Die dichte Decke rauchgrauer Wolken am Himmel spiegelte seine Stimmung wider.
Während er die langen Häuserblocks vor sich anstarrte, kahl bis auf die surrealen silbernen Dachskulpturen namens Spiegelmasten (laut Wuschels verwirrender Erklärung etwas Ähnliches wie Fernsehantennen) und hier und da an den Mauern ein paar bunte Graffiti, deren
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