Der Blumenkrieg
die Kinder gar nicht, aber Theo war dankbar für den Radau und die Ablenkung: Der Wagen verlangsamte nicht einmal die Fahrt, als er an ihrem Versteck vorbeikam.
»Wie weit schießen diese Gewehre?« fragte er flüsternd, als die Schutzleute in sicherer Entfernung waren.
»So weit wie nötig«, antwortete Wuschel. »Na ja, die Hornissen werden müde, wenn sie eine Weile geflogen sind, vor allem wenn sie zu lange ohne Futter im Magazin waren.«
Theo schüttelte den Kopf. »Soll das heißen, daß da richtige lebende Insekten drin sind?«
Wuschel nickte. »Gewissermaßen. Sie sind aus Metall. Es ist etwas Wissenschaftliches.«
»Aus Metall, und trotzdem essen sie? Womit werden sie gefüttert?«
»Hauptsächlich mit Bronzespänen.«
Theo seufzte. Er hatte manchmal das Gefühl, daß er hier jahrelang leben und dennoch nicht das geringste verstehen konnte.
Kurz nach dem Beinahezusammenstoß mit den Schutzleuten ließen sie die letzten Baracken von Ostwasser hinter sich. Der ganze Ys schien sich jetzt vor ihnen zu erstrecken, und doch war es ein wenig erhebender Anblick. Das Land zwischen ihnen und dem Wasser war eine Folge immer flacher werdender welliger Hügel mit schroffen Felsen dazwischen und niedrigen Bäumen hier und da, die von dem unablässigen Wind zu bizarren Gestalten verformt worden waren – einem Wind, in dem Theos Sachen bereits heftig zu flattern begannen.
»Ziemlich schaurige Gegend.«
»Das war nicht immer so. Siehst du den silbrigen Strich dort hinten? Das ist die Mondflut. Sie war früher die Lebensader des Landes, denn sie floß dicht am Großen Hügel vorbei, wo die ersten Elfen lebten. Doch als sie anfingen, die Stadt zu bauen, stauten sie den Fluß und leiteten ihn um und zweigten Kanäle davon ab, um die Gebiete westlich der Stadt zu bewässern, bis er nur noch ein Rinnsal war.« Er schwenkte die Hand über die öde Ebene. »Dies alles war einst Ur-Arden und dicht bewaldet. Die Königin hielt ihre Tänze auf den Waldwiesen hinter den Kriegssteinen ab, am Fuße des heutigen Schlachtenberges – wenn du genau hinschaust, kannst du den Berg sehen, dort drüben. Ja, dieser häßliche Felsklotz. Doch sie dämmten den Fluß und rodeten den Wald, und dies alles wurde Sumpf, felsige Hügel … na, du siehst ja selbst.«
Der Anblick war nicht sehr erbaulich, aber auf den spärlich bewaldeten Hügeln ging es sich ein wenig leichter, und Theo war dankbar dafür. Dennoch konnte er nicht umhin, das kahle Land mit der nahezu unwirklichen Schönheit der Wälder auf Rittersporns Land zu vergleichen, und sprach das auch aus.
»Ach.« Wuschel zuckte die Achseln. »Das ist kein richtiger Wald, das ist der Wildpark eines reichen Mannes. Er war früher ein Teil des Silberwaldes, ja, Rittersporns ganzer Besitz war einmal ein winziges Fleckchen des Silberwaldes. Es ist immer dieselbe Geschichte, Theo. Du mußt sie inzwischen bis zum Überdruß gehört haben – ich habe sie jedenfalls bis zum Überdruß erzählt. Der Wald ist fort. Sie haben nur ein kleines Stück als Jagdgrund für Rittersporn und seine Freunde gelassen.«
»Ihr gebt euch wirklich alle Mühe, meine Welt zu imitieren.«
Wuschel lächelte nur traurig.
Eine Stunde später hatten sie die Mondflut erreicht, eher ein träge dahinfließender Kanal als ein Strom, von steinernen Dämmen zu beiden Seiten eingefaßt, die außer ein paar buckligen Hügeln die höchste Erhebung im Umkreis von Meilen waren. Die Sonne stand tief im Westen, und die Anfänge eines spektakulären roten Leuchtens beschienen den rauchigen Himmel hinter dem Gipfel, den Wuschel den Schlachtenberg genannt hatte. Die Temperatur sank, und aus der sumpfigen Ebene um den Fluß stieg Nebel auf. Theo zitterte. Es war schlimm genug gewesen, im Park draußen zu schlafen, nur von Efeu und Bäumen geschützt. Die Vorstellung, eine Nacht auf diesem traurigen Acker zu verbringen und dem fernen Schreien der Meeresvögel zu lauschen, war geradezu niederschmetternd. Selbst Wuschel wirkte skeptisch.
»Da ist sie, die alte Wunderwehrbrücke.« Er deutete auf etwas, das wie ein Trümmerhaufen aussah und jetzt hinter dem langgezogenen flachen Hang auftauchte, den sie gerade erklommen. Es lag über dem Fluß wie ein ausrangierter Festwagen, ein Phantasieschloß, auf dem ein Riese gesessen hatte.
Lieber Gott, dachte Theo, hier könnte so was wirklich passiert sein.
Die meisten Brückentürme waren eingestürzt: Große runde Mauerbrocken lagen halb versunken im Wasser und verursachten die
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