Der Blumenkrieg
ich ein Elf, okay. Ansonsten ist mein einziger Bezug zu dieser Welt die Tatsache, daß jemand, den ich für meinen Großonkel gehalten habe, vor dreißig oder vierzig Jahren einmal hier war. Nach der Zeitrechnung in meiner Welt. Wieviel ist das hier? Wie lange ist es her?«
Wuschel schüttelte den Kopf. »So einfach ist das nicht, fürchte ich. Die Zeit in unserer Welt und in deiner Welt fließt unterschiedlich, und häufig scheint sie hier schneller zu fließen, aber nicht immer. Du willst zwei instabile Systeme kombinieren. Zudem sind noch geographische Faktoren zu berücksichtigen, die dir nicht viel sagen werden. Ich habe deine Welt lange genug studiert, um zu wissen, daß dort Orte, die benachbart sind, auch benachbart bleiben.«
Theo ließ sich das durch den Kopf gehen. »Stimmt«, gab er zu. »Wenn ein Zug von San Francisco nach L.A. fährt, dann guckt man im allgemeinen nicht eines Tages aus dem Fenster und stellt fest, daß er plötzlich einen Zwischenhalt in New York einlegt.«
Wuschel lächelte. »Was für phantastische Namen! Sie hören nicht auf, mich zu entzücken. Was für Bilder sie in meinem Kopf erzeugen! San Francisco! Wie ein Name aus einem Traum.«
»Ja, du solltest mal die traumhaften Schwulen sehen, die an Halloween auf der Castro Street tanzen«, schnaubte Theo. »Echt wie im Märchen.«
»Es wird Zeit, daß wir weitergehen. Wir sind jetzt am Rand von Dämmerstund angelangt, aber wir haben noch einen sehr weiten Weg vor uns, und ich wäre gern vor Einbruch der Dunkelheit da.«
Eine lange Strecke bergab begann. Die Hügel wurden immer spärlicher bewaldet, und auf einmal erblickte Theo zur Rechten zwischen den Bäumen eine große, silbrige Wasserfläche.
»Der Ys«, sagte Wuschel. »Die Insel Hy Breasil liegt knapp außer Sichtweite dort hinter dem östlichen Horizont. Ich habe schon oft gedacht, daß ich gern einmal hinfahren würde. Weg von dieser schrecklichen Stadt …«
»Ist das nun ein Meer? Oder ein See?«
»Es ist einfach das Wasser«, erwiderte Wuschel und zuckte die Achseln. »Wenn man weit genug hinausfährt, ist es das Meer. Aber hier ist es ein See – na ja, stellenweise eine Art Bucht. Ich kann das, glaube ich, nicht richtig erklären.«
Theo konnte auch ausgedehnte Siedlungs- und Gewerbegebiete zwischen dem Park und dem Wasser erkennen, doch hohe Türme wie im Stadtzentrum gab es in dem unter ihnen liegenden Bezirk nicht. »Ist das unser Ziel?«
»Nein, das ist Ostwasser. Wir kommen auf unserem Weg durch ein Ende davon. Größtenteils Lagerhäuser und sehr billige Mietskasernen für sehr arme Leute. Weiter im Norden – siehst du dort drüben den Landstrich, der nicht so dicht bebaut ist? Das ist der Rand des Fenn. Es ist eine Art Sumpf zwischen der eigentlichen Stadt und dem Hafen. Die Mondflut mündet dort, und die Wunderwehrbrücke ist eine der letzten Brücken über den Fluß. Heute kaum noch benutzt, glaube ich, weil die Eisenbahn und die Hauptstraße einen Bogen darum machen und durch Ostwasser führen.«
»Ich kann mich immer noch nicht daran gewöhnen, daß es im Elfenland eine Eisenbahn geben soll, ganz zu schweigen von Kraftwerken. Seit wann gibt es solche Sachen?«
»Seit der Zeit, als die Stadt sich auszudehnen begann, nach der Machtübernahme der Sieben Familien. Fürst Nieswurz mag die Menschen hassen, auch wenn ich eigentlich nicht weiß, was ihn dazu veranlaßt – es heißt, daß er die Menschenwelt regelmäßig besuchte, bevor der Kleeblatteffekt in Kraft trat –, aber ganz gewiß lieben er und seine Sorte alle von Menschen gemachten Erfindungen. Das ist einer der Gründe, weshalb wir so massive Kraftprobleme haben: Die Blumenfamilien haben sehr vieles sehr schnell gebaut. Früher war es so, daß Elfien vom König und der Königin mit der Zauberkraft für sämtliche Formeln und Sprüche und Verrichtungen versorgt wurde – oder sagen wir von dem, was der König und die Königin taten.«
»Und was taten sie?«
»Ich weiß es nicht genau. Sie erzeugten die Kraft, oder vielleicht leiteten sie sie auch bloß – ihr schlichtes Dasein schien dafür auszureichen. Aber als sie weg waren und die Stadt ein so rasches Wachstum nahm, mußten die Sieben Familien und das Parlament andere Mittel und Wege finden, um das Land mit Kraft zu versorgen und alles am Laufen zu halten. So entstanden die Werke.«
Im ersten Moment war Theo verwirrt und stellte sich irgendein utopisches Verfahren vor, aus künstlerischen Höchstleistungen Energie zu gewinnen. »Was
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