Der Blumenkrieg
Wuschel fort, »als wir sie vernichtend geschlagen hatten und die Stadt sich auf Goblingebiet auszudehnen begann, wurde viel darüber gestritten, was mit den Goblinstämmen geschehen sollte. Einige der Blumenfamilien wollten sie schlicht ausrotten, sie alle umbringen, aber die weiter Vorausdenkenden meinten, es werde ein wachsender Bedarf an billigen Arbeitskräften entstehen. Und so wurden die Goblins zur Arbeit gezwungen. Viele wurden in den letzten zwei Jahrhunderten im Zuge der weiteren Ausdehnung in die Innenstadt umgesiedelt.« Er machte eine verlegene Geste. »Inzwischen gibt es nicht mehr genug Arbeit für sie alle, weil sich die Entwicklung wegen der Energieknappheit und so weiter verlangsamt hat, aber jetzt haben sie kein Land mehr, in das sie zurückkehren könnten. Es ist ein Problem.«
»Aber einige von ihnen leben immer noch wild, nicht wahr? Ich habe welche vom Zug aus gesehen, in Groß-Eberesche.«
»Grimbolde?« Wuschel schaute verdutzt. »Du hast Grimbolde in Groß-Eberesche gesehen? Bist du sicher?«
»Klar. Apfelgriebs hat sie auch gesehen.« Er überging das kurze betretene Schweigen. »Sie sahen aus wie, was weiß ich, wie Dschingis Khans Mongolen oder so. Wild. Verwegen.«
»Ich weiß nicht, was Dschingers Kanzengolen sind, aber ich habe die Grimbolde auch gesehen, draußen in Esche, wo die meisten von denen, die nicht in die Stadt und die Siedlungen gezogen sind, nach wie vor leben.« Einen Moment lang verschleierten sich seine Augen, und sein forscher Schritt wurde stockend. »Irgendwie aufregend.«
»Deine Vorfahren waren also Siedler, ja? Leute vom Lande?«
Wuschel lachte, doch es hatte einen bitteren Beiklang. »O ja. Und die übrigen aus meiner Familie sind das immer noch. Landpomeranzen.«
»Aber du bist ein Studierter.«
Diesmal lachte er nicht einmal mehr. »Du hast meinen Rücken gesehen, Theo. Glaubst du, das war den Preis wert?«
»Liebe Güte, ist das wirklich die Aufnahmebedingung für höhere Elfenschulen? Und da denken die jungen Leute bei mir zu Hause, sie hätten es schwer!«
»Es läuft natürlich nicht so offen.« Wuschel schüttelte den Kopf, während er zusah, wie seine nackten Füße durch das Gestrüpp stapften. Seine Schuhlosigkeit schien ihm nicht das geringste auszumachen. »Meine Mutter kam vom Landsitz der Jonquillen in die Stadt, weil sie ein Liebling von Fürstin Ämilia war, eine Art Haustier. Als sie mich bekam, da zog sie mich natürlich zusammen mit den Kindern ihrer Herrin auf, und Fürstin Ämilia duldete das. Doch ich stand mit den Blumenkindern nicht auf einer Stufe, und eines der offensichtlichsten Zeichen, an denen man das erkannte, waren meine Flügel. In der Narzissensippe haben sie schon seit mehreren Generationen keine Flügel mehr, auch keine kümmerlichen Atavismen. Also sparte Mama Geld, und sie ließ sich nicht einmal von Fürstin Ämilia aushelfen. Wenn das kein Stolz ist! Sie wollte für die Verstümmelung ihres Sohnes um keinen Preis Almosen annehmen! Und irgendwann wurde ich operiert. Aber weißt du was, Theo? Selbst die Schüler, die meinen Rücken nicht zu sehen bekamen, wußten gleich Bescheid, schon an meinem ersten Tag im Internat mit Zirus und den anderen. Ich war schließlich ein Querz, nicht wahr, und Querze haben normalerweise kleine Flügel. Sie fanden es lustig. Na ja, die Netten fanden es lustig. Von den anderen fanden etliche, daß ich mir zuviel herausnahm, und das ließen sie mich spüren, regelmäßig und nachdrücklich.«
Theo wußte nicht, was er sagen sollte. Seine fröhlich bekiffte Zeit an der Hillsdale High School ließ sich damit nicht vergleichen, wenn man einmal von gelegentlichen Zusammenstößen mit der Sportlerclique absah.
»So ist das einfach«, sagte Wuschel. »Es hat keinen Zweck, sich zu beschweren. Jetzt, wo Nieswurz und seinesgleichen das Sagen haben, wird es eher noch schlimmer werden.«
»Hm, wie es scheint, waren schon vorher etliche mit den Verhältnissen hier nicht übermäßig glücklich.« Vor seinem Besuch wider Willen hatte Theo nie einen Gedanken an das Elfenland verschwendet, und wenn, hätte er es nicht für möglich gehalten, daß es dort so etwas wie einen Klassenkampf geben könnte.
»Nur zu wahr. Aber das war nicht immer so. In der alten Zeit war alles viel einfacher. Jeder hatte sein Fleckchen, wo er hingehörte, und alles ging seinen Gang. Langweilig vielleicht, aber man sah keine Gnomenkinder an Straßenecken betteln. Die Wende zum Schlechten kam, als der König und die
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