Der Blumenkrieg
rundrum angeschissen. Das war’s. Punkt, aus, Ende.
Wahrscheinlich spielte es sowieso keine Rolle: Selbst wenn sie ihn in die Nieswurz-Residenz hätte einschleusen können, hätte er immer noch nicht die blasseste Ahnung gehabt, wie er dort vorgehen sollte. In gewisser Hinsicht fühlte er sich befreit. Er war weiterhin im Druck, sich wegen Apfelgriebs etwas einfallen zu lassen, aber er mußte dazu nicht mehr Poppi einspannen. Ihm war dabei nicht besonders wohl gewesen.
Er musterte sie eingehend. Er wollte sich ihr gern öffnen, aber er wurde das Bild der hübschen, munteren HJ-Mädels nicht los, die in Berlin rauschende Feste feierten, während die SS die Unerwünschten in die Lager abtransportierte. »Bist du wirklich ganz fortgegangen? Nicht bloß kurz ausgebüxt, um dann wieder heimzukehren, wenn Papi sagt, daß du Nieswurz junior doch nicht heiraten mußt, und dir vielleicht das Taschengeld erhöht?«
Ihre Augen schwammen weiterhin in Tränen, aber ihr Gesicht wurde schlagartig kalt. »Das traust du mir zu? Daß ich zurückgehen und mit diesen … Mördern zusammenleben würde? Für mehr Taschengeld?« Sie nahm ihre Handtasche und machte Anstalten, aufzustehen. Theo faßte sie am Arm, doch sie schüttelte ihn ab. »Ich bin wirklich saublöd«, sagte sie. »Ich habe versucht, mir einzureden, daß es nur Politik ist, was mein Vater macht. Irrtum. Und ich habe versucht, mir einzureden, daß ich dich falsch beurteilt habe, daß ich mit meinen Spielchen an allem schuld bin, daß du in Wirklichkeit ein netter Kerl bist. Wie es aussieht, habe ich mich in vielen Dingen geirrt.«
Theo sprang auf, als sie sich zum Gehen wandte. Sein Stuhl kippte um. Andere Gäste waren bereits auf sie aufmerksam geworden. »Poppi, bitte, ich mußte das wissen. Ich wollte dich nur auf die Probe stellen. Bitte, bleib da, ich … ich muß dir was sagen.« Die Elfen zu beiden Seiten von ihnen flüsterten miteinander. Scheiße, dachte er, wenn sie mich nicht erkennen, dann erkennen sie wahrscheinlich sie. »Setz dich, bitte!«
Sie ließ sich zurück auf ihren Platz ziehen. Er stellte seinen Stuhl wieder hin und stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Was willst du mir sagen?« fragte sie. Wieder tupfte sie sich das Gesicht ab.
»Ich muß dir was gestehen.« Ach, egal, ich wag’s einfach!
Ihr Gesicht wurde starr und ihre Augen mißtrauisch, als ob ein Vorhang zugezogen worden wäre und sie dahinter hervorlugte. »Du hast zu Hause im Chrysanthemenland eine Frau, stimmt’s? Ein schnuckeliges Landhäuschen in Eberesche? Kinder? Eine Heinzelfrau als Konkubine?«
Er mußte wider Willen lachen, obwohl er für sein Gefühl im Begriff war, aus dem Fenster zu springen, ohne zu wissen, was ihn dahinter erwartete. »Nein, nein. Nichts dergleichen. Nein, ich wollte dir sagen …« Er beugte sich vor. Das Interesse der anderen Gäste schien sich gelegt zu haben, aber Vorsicht war nie verkehrt. »Ich bin dreißig Jahre alt, Poppi.«
»Was? Soll das vielleicht witzig sein?« Sie wollte abermals aufstehen.
»Nicht! Das ist die Wahrheit.«
»Lügner! Wie sollte das …?« Sie brach ab, riß die Augen auf. »Schwarzes Eisen, du bist ein Mensch!«
»Pssst!« Er nahm ihre Hand, hielt sie fest. Sie erstarrte, machte sich aber nicht los. »Nein. Na ja, in gewisser Weise. Es ist eine lange Geschichte. Willst du sie hören?«
Der kleine Kellner nutzte diesen Moment, um mit Speisen zu kommen, die Theo nicht einmal identifizieren konnte – exotische Kreationen, wild improvisiert und dann jahrhundertelang in einer lichtlosen Höhle aufbewahrt, wie es aussah. Er deckte sie auf, wobei er mit professioneller Routine das abrupte Schweigen ignorierte, das am Tisch eintrat. Theo konnte nicht erkennen, was Tischschmuck war und was das eigentliche Essen, und selbst die Teller erkannte er nur daran, daß sie unten waren. Es spielte jedoch keine Rolle, denn er war jetzt viel zu nervös zum Essen.
Als der Kellner wieder davongehuscht war, erzählte Theo ihr alles, angefangen mit einer kurzen Zusammenfassung seines Lebens vor dem Übertritt nach Elfien. Er war in Versuchung, manches zu beschönigen, doch er erlag ihr nicht, sondern konfrontierte sie statt dessen mit der ungeschminkten Wahrheit: dreißig Jahre alt und ein Job ohne Zukunftsperspektive, ganz passabler Musiker, mäßiges Geschick im Umgang mit anderen Leuten, vor allem in Liebesbeziehungen. Er hätte gern ihre Stimmung erahnt, doch ihre Miene blieb in bester Blumenmanier maskenhaft und undurchdringlich:
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