Der Blumenkrieg
Sie nippte an ihrem Wein, pickte an ihrem Essen und hörte zu, behielt aber ihre Gedanken für sich. Er erzählte ihr, wie er das Buch seines Großonkels gefunden hatte, wie völlig unverhofft die Fee aufgetaucht war, unmittelbar gefolgt von dem Untoten, wie er zu seinem großen Erstaunen in ein Land gekommen war, an dessen Existenz er niemals geglaubt hatte.
Als er schließlich zu dem Teil der Geschichte gelangte, wo Apfelgriebs ihn in die Narzissen-Residenz brachte, war der erste Adrenalinschub vorbei, und ihm wurde wieder bewußt, wie hungrig er war. Er entschied sich für eines der weniger zweifelhaft aussehenden Gerichte, spießte mit einer langzinkigen Gabel ein Stückchen auf und schob es sich in den Mund. Es war gar nicht schlecht, obwohl die Verbindung von süß und dunkelwürzig gewöhnungsbedürftig war, doch die von ihm abfließende Angst gab eine sehr gute Soße. Während er ihr berichtete, was ihm sonst alles noch widerfahren war, ohne jedoch Knopf und seine Pläne und Aktionen zu erwähnen – er durfte auf keinen Fall das Leben des Goblins und seiner Genossen aufs Spiel setzen, einerlei wie er das Mädchen einschätzte –, probierte er immer mehr von den Kobolddelikatessen. Die Entdeckung, daß eines der Gerichte mit kandierten Tausendfüßern garniert war, schreckte ihn noch einmal ab, doch dann häufte er sich einen Berg der Sachen, die ihm am besten schmeckten, auf den Teller. Von da an schloß er fast jeden seiner Sätze mit einem Happen ab.
Als er geendet hatte, schwieg sie eine Weile. Sie trank ihren Wein aus, nahm ihre Handtasche und stand auf.
»Gehst du?« Die Angst preßte ihm jäh wieder den Magen zusammen. Er hatte sich zu sehr entspannt. War sie wütend genug, um ihn zu verraten?
»Nein, ich gehe zur Toilette. Darf ich das?«
Er nickte. Er hätte ihr gern die Zusicherung abgenommen, daß sie auch bestimmt niemanden anrief und er nicht wie ein Depp dasaß, wenn die Spezialeinheit zur Tür hereingestürmt kam und die Hornissengewehre rauchten oder blitzten oder was sie sonst machten, doch er wußte, um sie auf seiner Seite zu halten, mußte er ihr vertrauen. Leute sind schon wegen schlechterer Vorsätze gestorben, dachte er. Doch ich würde lieber nicht sterben.
Es waren vielleicht seine längsten zehn Minuten seit der Flucht aus der brennenden Ruine des Tagungszentrums. Er trank sein Wasser, schob die Reste der Koboldgerichte auf seinem Teller hin und her und gab sich alle Mühe, vor den anderen Gästen wie einer auszusehen, der kein zweites Hinschauen wert war. Als er sie durch den Gang zurückkommen sah, immer noch mit ihrer unbeteiligten Miene im Gesicht, hatte er gleichzeitig zwei vollkommen unterschiedliche Reaktionen.
War ich ein Depp? Hat sie einen Kuhhandel mit ihrem Vater gemacht: ihre Freiheit gegen meine?
Sie ist wirklich schön.
Poppi nahm Platz, ohne ihn anzuschauen. »Eine Sache will ich noch wissen«, sagte sie. »Muß ich wissen. Bist du hergekommen, weil du mich zur Rettung deiner Freundin benutzen wolltest?«
Er wünschte auf einmal, er hätte auch etwas Stärkeres zu trinken bestellt. »Ja. Das war nicht der einzige Grund, aber ich hatte die Hoffnung, du könntest mir irgendwie helfen. Sie ist mehr als eine Freundin … ich will damit sagen, sie hat mir das Leben gerettet. Mehr als einmal.«
Poppi nickte langsam. »Aber das war nicht der einzige Grund, sagst du.«
»Ich mag dich gern, Poppi. Ich hab dich von Anfang an gern gemocht. Als ich dich im Lager sah, wurde mir klar, daß ich … mich nach dir gesehnt hatte.«
Sie betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. »Wenn du versuchst, mich mit einem Blendwerk zu verzaubern, Theo Wie-du-auch-heißen-magst, dann solltest du daran denken, daß du ein Anfänger bist. Wenn du mich anlügst, wird es dir schlimmer ergehen, als wenn diese Schlange Nieswurz dich zu fassen bekommt. Viel schlimmer.« Sie schlug die Augen wieder auf den Tisch nieder. »Ich kann dir nicht helfen, Theo. Selbst wenn ich zurückginge – und das werde ich niemals tun –, wären mir nach der Szene, die ich bei meinem Abgang dort geliefert habe, die Privatetagen in der Nieswurz-Residenz verwehrt. Aber ich nehme es dir nicht übel, daß du deine Feenfreundin retten willst, auch wenn sie eine schnippische kleine Zicke ist. So. Wenn du jetzt gehen willst, sag mir die Wahrheit und geh. Du brauchst dir meinetwegen keine Gedanken zu machen – ich werde dich nicht verraten. Aber wenn du mich anlügst und mir vorgaukelst, du würdest etwas für
Weitere Kostenlose Bücher