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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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wie ein Porträt von Vermeer. Es war verführerisch – die ganze Situation, nicht nur die hübsche junge Frau ihm gegenüber. Es war wunderbar, wieder einmal in einem Restaurant zu sitzen, ganz als ob er ins normale Leben zurückgekehrt wäre. Wenn er den Kopf so hielt, daß er die vogelköpfige Frau in einem nahen Separee nicht sah, wenn er so tat, als wären die Flügel, die ein anderer Gast geradezu aggressiv zur Schau stellte, nur ein Kostümscherz und nicht wirklich angewachsen, dann konnte er sich vorstellen, wieder in seiner Welt zu sein.
    Es war zu verführerisch.
    Ein Koboldkellner stand neben dem Tisch. Theo hatte sein Kommen gar nicht bemerkt. Er war nicht gerade die ansprechendste Erscheinung, die Theo bis dahin im Elfenland gesehen hatte, denn ihrer Menschenähnlichkeit zum Trotz hatten Kobolde ein wenig das Aussehen haarloser Nagetiere: die große Nase weit vorspringend, so daß das restliche Gesicht förmlich dahinter verschwand, die fast durchscheinende rosige Haut runzlig wie Zehen, die zu lange gebadet worden waren. Doch trotz seines vorstehenden Unterkiefers hatte der Kellner ein schüchternes, sympathisches Lächeln, und Theo ging plötzlich der Gedanke durch den Kopf, ob er vielleicht so einer wie Wuschel war: ein Student, der in einem Restaurant jobbte, um sich sein Studium zu finanzieren, entschlossen, sich unter Leuten zu behaupten, die sich ihm überlegen fühlten. Hatte er sich von einem Ort wie dieser mitternachtsdunklen Koboldsiedlung an der Eisenbahn emporgearbeitet?
    Ja, ja, jeder hat seine Geschichte, dachte er und schaute Poppi an. Kenne ich ihre so gut, wie ich es mir einbilde?
    »Möchten die Herrschaften etwas zu trinken?« fragte der Kellner.
    Erschöpft und überfordert bat Theo um Wasser. Poppi, die vielleicht ihre eigenen Gründe hatte, vorsichtig zu sein, bestellte statt des gewohnten Flügelstutzers ein Glas Wein.
    »Hör zu«, sagte er, als der kleine Kellner gegangen war, »es gibt ein paar Sachen, über die ich unbedingt mit dir reden muß …«
    »Gleichfalls. Ich bin von zu Hause weggelaufen.«
    »Was?«
    »Ich hatte einen furchtbaren Streit mit meinem Vater. Einen richtigen, nicht bloß ein bißchen gegenseitiges Anschreien. Er will, daß ich Fürst Nieswurz’ Sohn Anton heirate. Das kommt gar nicht in Frage. Er ist völlig wahnsinnig – widerwärtig. Und dieser Stiefbruder von ihm oder was er sonst ist …« Sie erschauerte. Es war keine theatralische Geste. »Es wäre ohnehin so gekommen. Ich kann mit diesen Leuten einfach nicht mehr zusammenleben. Und nach dem, was sie den Narzissen und den Stockrosen und den Lilien angetan haben … Theo, ich habe dich mit Zirus Jonquille zusammen gesehen, du mußt gehört haben, was mit dem Haus seiner Familie geschehen ist – mit der ganzen Familie.«
    Er sah sie betroffen an. Sie war weggelaufen. Gut für sie natürlich, aber für ihn …
    »Was ist los, Theo? Du mußt doch mitgekriegt haben, was mit der Narzissen-Residenz passiert ist, selbst wenn du nicht von hier bist.«
    »Ich … ich war da. Ich war in der Residenz. Als es passierte.«
    »Schockschweres schwarzes Eisen! Wirklich?« Sie sah ihn mit großen Augen an. »Ich habe mich schon gefragt, warum du nicht angerufen hast, wo ich doch praktisch … O Theo, das ist … Es tut mir leid.« Sehr zu seinem Unbehagen begann sie zu weinen. »Es tut mir so leid.«
    »Es ist doch nicht deine Schuld.« Was war aus dem leichtlebigen Schulmädchen geworden, das den Tod seines eigenen Bruders als bloße Unannehmlichkeit abgetan hatte? Er wollte ihr seine Serviette reichen, doch sie hatte bereits ein Taschentuch in der Hand und putzte sich halbherzig die Nase. »Es ist nicht deine Schuld, Poppi.«
    »Aber die meiner Familie. Meiner scheußlichen Familie.«
    »Bist du wirklich weggelaufen? Du könntest nicht wieder zurückkehren?«
    Sie schüttelte den Kopf und schnaubte sich abermals die Nase. »Mein Vater läßt mich in der ganzen Stadt von den Residenzwächtern suchen. Deshalb konnte ich mich mit dir nicht in einem der Lokale treffen, wo ich sonst immer hingehe. Er hat es nicht gern, wenn man gegen ihn aufbegehrt, der alte Widerling.«
    Theo holte tief Luft. Nicht nur war sie für ihn nutzlos geworden, weil sie ihm keinen Einlaß bei Nieswurz verschaffen konnte, wie er es halb gehofft hatte, jetzt bestand auch noch die zusätzliche Gefahr, daß er von den Männern ihres Vaters aufgegriffen wurde, wenn sie ihn zufällig zusammen mit ihr antrafen. Eine schöne Bescherung. Ich bin

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