Der Blumenkrieg
ausstehen.«
Er hatte seinen Wein ausgetrunken, und obwohl er sich entspannter fühlte als die ganzen Tage davor, war ihm nicht ganz wohl dabei, daß sie schon so lange an einem Ort saßen. »Wie wär’s, wenn wir einen Spaziergang machen? Ich möchte hier weg.«
Sie warf ihm einen abschätzenden Blick zu. »Einen Spaziergang? Zu Fuß? Warum nicht.« Sie bezahlte die Rechnung, indem sie anscheinend nur mit den Fingern darüberglitt. Er fragte sich, wie leicht es ihrem Vater wohl fiele, sie anhand ihrer Geldausgaben aufzuspüren. Reiche Mädchen, vermutete er, dachten über solche Sachen nicht allzuviel nach. Er hatte in seinem Leben nicht viele gekannt, aber die wenigen, mit denen er vor Poppi in Berührung gekommen war, hatten ihm diesen Eindruck vermittelt. Da war zum Beispiel Sandra gewesen, die Tochter eines berühmten Musikers, mit der er in einem Club Bekanntschaft geschlossen hatte und dann kurzzeitig gegangen war. Sie marschierte einfach, ohne zu zahlen, aus Restaurants und Kneipen hinaus, nicht weil sie die Zeche prellen wollte, sondern weil sie völlig selbstverständlich – und meistens zu Recht – davon ausging, daß alle wußten, wer sie war, und ihrem Vater die Rechnung schicken würden. Genauer gesagt, dem Manager ihres Vaters, da der eminente Baßspieler und Hedonist, der sie gezeugt hatte, sich so wenig um seine laufenden Ausgaben kümmerte wie die Königin von England.
Die SpeiseKammer war einen guten Kilometer vom Hafen entfernt, und es roch draußen viel mehr nach Meer als in dem Sumpfland bei der Wunderwehrbrücke. Poppi führte ihn durch einige der schmalen Gäßchen von Ostwasser, die mit ihren windschiefen Häusern und dunklen Passagen sehr an eine Stadt in der Menschenwelt des frühen 19. Jahrhunderts erinnerten, New Orleans vielleicht oder einige Stadtteile von Neapel. Seltsame Musik, so seltsam wie die der Goblins, aber eindeutig anders, tönte von einigen der oberen Stockwerke herab.
»Kobolde?« fragte er, weil er an das Restaurant denken mußte.
Poppi lachte. »Du bist wirklich die Unschuld vom Lande, was? Ein Kobold würde niemals in einem oberen Stockwerk leben, und wenn er die Wohnung mietfrei bekäme. Nein, die meisten Leute hier in der Gegend sind normale Elfen aus der Arbeiterschicht, aber das da hört sich wie Nixenmusik an. Es gibt etliche von ihnen hier, aber die meisten wohnen direkt bei den Docks oder sogar auf Schleppern und Hausbooten.«
Theo gefiel die Musik, und zu Fuß zu gehen, das beinahe normale Gefühl dabei, desgleichen. Poppi gefiel ihm auch. Er zögerte kurz, dann nahm er ihre Hand, wohl wissend, daß er damit einen Rubikon überschritt, auch wenn die Geste noch so belanglos erscheinen mochte. Sie gingen eine Weile schweigend dahin, ließen sich durch die schwülwarme Nacht treiben wie zwei Delphine, die Seite an Seite durch die tropischen Wellen glitten.
Vor einer düsteren Mauer knapp außerhalb des Irrlichtscheins einer Straßenlaterne hielt sie ihn an. Im ersten Moment dachte er, sie hätte in der Menge lachender und laut redender junger Männer, die gerade aus einer Taverne auf der anderen Straßenseite kamen, einen Bekannten erblickt, doch als diese im nächtlichen Dunkel verschwunden waren, wurde ihm klar, daß sie keineswegs aus Furcht stehengeblieben war. Er legte die Arme um sie, fühlte, wie sie sich mit der hingebungsvollen Konzentration einer Künstlerin an ihn schmiegte, die ein großes Werk in Angriff nimmt. »Ich bin froh, daß du mich angerufen hast«, sagte sie. »Ich habe viel an dich denken müssen.«
Er wollte nichts Dummes sagen. Er wollte gar nichts sagen. Er war in der Vergangenheit öfter in Verlegenheit geraten, weil er nicht gewußt hatte, was man in solchen Situationen sagt, und jetzt wußte er es noch weniger. Aber er hatte sie nicht belogen: Mit ihr zusammenzusein war ihm im Augenblick genug. Was bedurfte es da noch weiterer Worte?
Sie verstand sich hervorragend aufs Küssen. Sie ging mit leidenschaftlicher Entschlossenheit zu Werke – nicht überstürzt, aber auch nicht spielerisch tändelnd. Ihm blieb nicht viel Zeit, sich mit der Frage zu befassen, warum Elfenküsse sich so ähnlich anfühlten wie Menschenküsse, oder sich Gedanken darüber zu machen, ob alle Elfen sich so küßten, als wäre es die wichtigste Sache auf der ganzen Welt, oder ob das nur für Poppi Stechapfel galt. Die Tatsache, daß sie genaugenommen ein Schulmädchen war, verlor zusehends an Gewicht, und damit gaben sich auch die Gewissensbisse, die ihn
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