Der Blumenkrieg
diese Sachen unter vier Augen gesagt hätte, wäre es ihm egal gewesen, er hätte wahrscheinlich gelacht, daß sie so etwas schlimm fand, ja überhaupt der Erwähnung wert. Aber sie hatte es in der Öffentlichkeit gesagt, vor den Untergebenen, die vor ihm im Staub zu liegen haben, und das konnte er nicht dulden. Also vernichtete er sie. Damals fing ich an, ihn zu hassen.« Sie hielt plötzlich inne. »Ich will nicht mehr darüber reden, Theo. Ich weiß, daß du versuchen willst, deine Freundin zu retten. Ich … ich will nicht über meine gräßliche Familie reden, wo ich nicht weiß, wieviel Zeit wir noch haben, bevor … bevor …«
»Bevor ich losziehe, um mich meinerseits ermorden zu lassen.«
»Sag nicht solche Sachen!« Sie warf die Arme um ihn und drückte mit aller Kraft wie ein ertrinkender Schwimmer, und Theo verstand plötzlich, wie aus einem Retter ein Opfer werden konnte. Er wünschte, er hätte sich seine alberne, selbstmitleidige Äußerung gespart, doch im Augenblick fühlte er sich hin- und hergerissen zwischen Pflicht und Vernunft, und er wollte sein Leben weder hiervon noch davon bestimmen lassen – jedenfalls hatten beide vorher im Lebensentwurf des Theo Vilmos keine große Rolle gespielt.
Poppi hielt ihn immer noch umfangen. »Ich fand es furchtbar, wie du neulich nacht weggegangen bist. Ich wußte genau, daß du irgendwas Heldenhaftes und Dummes vorhast.«
»Ich? Ich meine, das hast du gemerkt?«
»Ja, du hattest diese entschlossene Art, die sie immer in den Spiegelspielen haben – wie Fürst Rose, wenn er gegen die Goblins ins Gefecht zieht und zum Abschied noch seine kleinen Töchter küßt, oder wie Memnon Erle am Vorabend des Frostkrieges.«
Theo hatte sich nicht besonders entschlossen gefunden und heldenhaft schon gar nicht, aber im Augenblick tat ihm die Vorstellung wohl, er könnte es sein. Vielleicht sind ja alle Helden im Grunde ihres Herzens Feiglinge wie ich, dachte er, und es kommt nur darauf an, daß man tut, was man tun muß. Denn wenn man keine Angst hat, wenn einen die Gefahr völlig kaltläßt, wie heldenhaft ist man dann? Dennoch war er noch nicht ganz bereit, sich dem Lager der Entschlossenen und Tapferen zuzuzählen, das widersprach zu sehr dem Bild, das er lebenslang von sich gehabt hatte. Er wandte seine Aufmerksamkeit lieber einer Tätigkeit zu, die viel naheliegender und viel angenehmer war.
Als er sie fertiggeküßt hatte, nahm sie seine Hand, und sie setzten ihren Gang auf dem Deichweg fort. Der Mondschein war so stark, daß Theo und Poppi Schatten warfen. »Wo gehen wir hin?« fragte er.
»Das wirst du schon sehen.« Sie führte ihn weiter, bis das Lager nur noch eine dunkle Masse mit ein paar hellen Feuerpunkten an den Ufern des Flusses war. Der große Mond versank hinter dem Horizont wie ein lecker Ballon. Poppi raffte ihren langen Rock hoch, ließ sich im Schneidersitz auf dem feuchten Boden nieder und machte Theo ein Zeichen, sich zu ihr zu setzen. Der Wind hatte aufgefrischt. Er zitterte ein wenig und wünschte sich einmal mehr, er hätte nicht notgedrungen seine Lederjacke einem Troll geopfert, wie sinnvoll die Transaktion auch gewesen war.
Als er saß, nahm sie sein Gesicht in ihre kühlen Hände. Ihre Gefühle verbarg sie hinter der inzwischen gewohnten unbewegten Miene. »Ich möchte, daß du mich liebst, Theo – aber nur, wenn du es wirklich willst.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht genug … das heißt, ich möchte auf keinen Fall …«
»Das meine ich nicht, egal, was du sagen willst. Ich will, daß du mich mit deinem Körper liebst. Dein Herz, nun, das wird seine eigene Entscheidung treffen. Aber ich will nicht von dir geliebt werden, weil ich dir leid tue oder weil du denkst, du könntest damit einen Fehler wiedergutmachen.«
Er nahm ihre Hand. »Ich weiß nicht, wieviel wirklich an mir dran ist, Poppi, aber was an mir dran ist, das gehört hier und jetzt dir.«
»Gut.« Die starre Miene lockerte sich ein wenig. »Dann komm her, und küß mich noch mal, und laß uns die ganzen schrecklichen Dinge eine Weile vergessen. Liebe mich.«
Er kniete sich hin, um sie zu küssen, und mußte feststellen, daß er schon wieder zitterte. »Aber … es ist so kalt. Und nicht sehr privat.«
Sie lachte. »Ich habe einen Pavillon dabei.«
»Einen was?«
»Schau.« Sie holte etwas aus der Rocktasche und hielt es ihm hin. Es war ein kleines Säckchen ungefähr von der Größe eines Teebeutels. »Ein sehr nützlicher Zauber. Hältst du mich für
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