Der Blumenkrieg
hier das Sprichwort: ›Lache, damit du nicht weinst‹? Im Augenblick jedenfalls sollte es eher heißen: ›Lache, damit du dir nicht vor Angst in die Hosen scheißt.‹«
E r kam in dieser Nacht nicht viel zum Schlafen, und das hatte mehrere Gründe.
Nachdem er fast gleichzeitig mit dem Augenschließen einen der schlimmsten Schizoträume bis dahin hatte – er meinte, in seinem gestohlenen Ich zu ertrinken, von einer grauenhaften kalten Schwärze verschlungen zu werden –, schlossen sich daran etliche Episoden, die weniger furchterregend waren, obwohl er das Gefühl nie ganz loswurde, daß etwas Fremdes, etwas anderes sein Innenleben mit ihm teilte. Im letzten Traum brachte er seiner Mutter Blumen ins Krankenhaus und versuchte ihr klarzumachen, daß er es war, ihr Theo, und daß es für ihn keine Rolle spielte, ob sie seine richtige Mutter war oder nicht, daß er sie trotzdem liebte, doch im Traum stand sie schon zu sehr im Bann ihrer Krankheit und konnte ihn nicht verstehen. Sie konnte nur die Blumen auf dem Nachttisch anstarren, wie davon hypnotisiert.
Es war ein trauriger Traum, und gewöhnlich erinnerte er sich hinterher nicht mehr an die traurigen, nur an die erfreulichen (zum Beispiel daß er mit einer Frau im Bett lag, auf die er scharf war, aber an die er sich im richtigen Leben nie herangetraut hätte, oder daß er im Lotto gewonnen hatte) oder an die wirklich furchtbaren. In jüngster Zeit hatte es ziemlich viele wirklich furchtbare gegeben. Aber unter normalen Umständen hätte er sich an diesen Traum, an das abwesende Gesicht seiner Mutter und die hängenden Blumen am Krankenhausbett, nicht erinnert, wenn er nicht mittendrin davon aufgewacht wäre, daß er eine Hand über dem Mund und eine andere an der Kehle hatte.
Das Monster! Es hat mich gefunden! Sein Herzschlag beschleunigte in einer Sekunde von gemütlichem Schlafgebummel auf rasendes Schrecktempo, so als ob jemand das Herzpedal ganz durchgetreten hätte. Er versuchte, sich unter den klammernden Händen wegzurollen, und die an seiner Kehle ließ los, doch der Druck auf seinen Mund wurde nur noch fester. Er grapschte nach dem Arm und dem Oberkörper und rechnete damit, in verfaulendes Fleisch zu fassen, doch sein Angreifer war eindeutig intakt … und eindeutig weiblich.
»Theo! Pssst! Du weckst alle auf!«
»Poppi?« Er war verwirrt. »Was machst du denn hier? Warum willst du mich erwürgen?«
»Will ich doch gar nicht, du Idiot«, flüsterte sie. »Ich wollte dir den Mund zuhalten, damit du nicht schreist, und habe zuerst daneben gegriffen …« Plötzlich stieß sie einen Schreckenslaut aus und verschwand von seiner Seite.
»Alles in Ordnung mit dir, Theo Vilmos?« Es war Kleiderhakens Stimme. Der Goblin hatte sich lautlos wie eine Katze von seinem Schlafplatz gegenüber angeschlichen und schien Poppi Stechapfel jetzt im Schwitzkasten zu haben.
»Er … er bringt mich um!« keuchte sie. Theo konnte sie kaum verstehen.
»Nicht, Kleiderhaken! Sie ist eine Freundin. Laß sie los!«
»Bist du sicher?«
»Ja! Ja, laß sie los!«
Prompt kam Poppi in seinen Schoß geflogen und stieß ihn rückwärts auf seine zerknüllte Decke. Die anderen drei Zeltinsassen begannen sich ebenfalls zu regen. Er schob Poppi zum Ausgang. »Warte draußen auf mich.«
»Theo?« brummte Wuschel verschlafen. »Was ist …?«
»Alles okay. Bloß jemand mit einer Nachricht für mich. Kleiderhaken hat gut aufgepaßt, aber es war falscher Alarm.« Im schwachen Mondlicht, das durch die Zeltklappe drang, sah Theo, wie die gelben Augen ihn fixierten. Er fühlte sich wie vom Teufel persönlich beobachtet, doch wenn der Eindringling jemand anders gewesen wäre als Poppi, dann wäre er für die Wachsamkeit und die hervorragende Nachtsicht des Goblins natürlich mehr als dankbar gewesen. »Danke«, sagte er.
Kleiderhaken nickte, kniff die Augen zusammen und glitt zurück unter seine Decke. Theo wartete, bis sich sein Atem halbwegs beruhigt hatte – seine Hände zitterten immer noch –, und folgte dann Poppi nach draußen.
Der elfenländische Mond war beinahe voll, eine große weiße Zwiebel dicht über dem Horizont, die so intensiv leuchtete, daß selbst die feuerwerkshellen Sterne davon überstrahlt wurden. In sein Licht getaucht erhob sich Knopfs Brücke über die weite Ebene jenseits des Lagers wie ein Geisterschloß aus einem alten Märchen, das alle hundert Jahre einmal auf irgendeiner nebeligen schottischen Heide erschien.
Bevor Theo ganz aufrecht stand,
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