Der Blumenkrieg
ihre Bluse angezogen, aber mehr nicht. Er hätte sich am liebsten neben sie gelegt und ihr glattes Bein geküßt, die straffe Haut ihrer Flanke knapp über der Hüfte, doch er wußte, daß er dann nicht mehr imstande sein würde, sich abermals zum Aufstehen zu bewegen.
»Ja«, erwiderte er, »das muß ich. Knopf schien es für sehr wichtig zu halten, daß wir vor Morgengrauen aufbrechen.«
»Wer ist Knopf?«
Er zögerte. Er vertraute ihr mittlerweile, selbstverständlich tat er das, aber er wollte sie nicht noch zusätzlich mit gefährlichem Wissen belasten. Wie hatte Knopf gesagt? Wir können nicht verraten, was wir nicht wissen. »Ein Freund von mir aus dem Lager. Ein Goblin.«
»Ich wünschte, du würdest bei mir bleiben«, sagte sie, »beziehungsweise du würdest bei mir bleiben mögen.« Wieder das traurige Lächeln. »Aber ich weiß, daß ich dich nicht drängen darf. Wenn du nicht alles tun würdest, um deiner Freundin zu helfen, dann wärest du nicht der Mann, den … dem ich mich nahe fühle.«
Geht das so? fragte er sich. Die Gewaltigkeit dessen, was vor ihm lag, wurde ihm schlagartig wieder bewußt, und nichts konnte ihn jetzt noch davon abbringen, keine Träume und nicht einmal Poppis Gegenwart. Ihm war schwach und elend zumute. Wird man auf die Art einer, der nicht mehr so flach ist? Du tust, was dir gut und richtig erscheint, einerlei wie du dich dabei fühlst und wie sehr du am liebsten wegrennen würdest, und dann denken alle, du wärst ein toller Typ? Und alle weinen dann auf deiner Beerdigung? Aber von dem Gefühl ging auch eine Kraft aus, und selbst wenn er die Lektion zu spät lernte, um noch viel damit anfangen zu können, war es ein Weg zu einem neuen Selbstverständnis. Sie denkt, daß ich so einer bin, und deshalb bin ich für sie so einer. »Ich will nicht von dir weggehen«, war alles, was er sagen konnte, »aber ich muß.«
»Ich weiß.« Sie hatte wieder ihre beherrschte Miene aufgesetzt, doch die Maske war brüchig, und sie konnte seinem Blick nicht begegnen. »Ich … ich möchte dir etwas geben. Eigentlich zwei Sachen.«
»Einen Handschuh, den ich mir an die Lanzenspitze hefte, wenn ich in die Schlacht ziehe?«
Jetzt schaute sie ihn an, aber verständnislos. »Wieso willst du eine Lanze mitnehmen?«
»Mach ich doch gar nicht, das ist bloß … das haben früher die Ritter in meiner Welt mit Geschenken von ihren angebeteten Damen gemacht.«
»Na, mit diesen Sachen hier solltest du vorsichtiger umgehen, als sie an eine Lanze zu heften.« Sie reichte ihm etwas, das ungefähr die Größe und Form eines langen Lippenstifts hatte. »Damit kannst du mich anrufen, wenn du mich brauchst. Das meine ich ernst, Theo. Wenn du irgend etwas brauchst, besorge ich es dir. Wenn du mich brauchst, werde ich da sein – unter allen Umständen.«
Er betrachtete den kleinen, silbrigen Stab. »Kann sein, daß ich bis auf weiteres keine Gelegenheit haben werde, einen Anruf zu machen. Aber trotzdem danke. Nach … nach dieser Sache wird es schön sein, wenn ich dich erreichen kann, ohne Stracki schon wieder Kopfschmerzen machen zu müssen.«
Sie lächelte, doch ihre Augen waren feucht. »Ruf mich an, mehr sage ich nicht. Und dann möchte ich dir noch das hier geben.« Sie zog ein dünnes silbernes Kettchen mit einem Anhänger aus dem Kragen ihrer Bluse, das einzige, was sie die ganze Nacht über anbehalten hatte. Sie nahm es ab und hielt es ihm hin. Was er für eine kleine Münze gehalten hatte, war, wie er jetzt sah, ein runder Mond, und eine Sichel des Kreises war aus etwas wie blank geschliffenem Opal gemacht. »Es ist ein Splitter vom Familiengrabstein meiner Mutter. Sie hat ihn mir gegeben.«
»Was bewirkt er?«
»Bewirken? Er bewirkt gar nichts. Er ist etwas, das sie mir gegeben hat – eine der ganz wenigen Sachen, die sie mir je gegeben hat. Er ist mir wirklich wichtig, Theo, und ich gebe ihn dir, damit du auch ganz bestimmt zu mir zurückkommst.«
Er hatte irgendeinen Elfenzauber erwartet, einen magischen Talisman zum Schutz vor Gefahr, und im ersten Moment war er beinahe enttäuscht, denn er hatte den Verdacht, daß er jede Hilfe brauchte, die er bekommen konnte. Dann ging ihm die Bedeutung ihres Geschenks auf, und er fühlte ein Weitwerden in der Brust, eine stille Verzückung, die größer und stärker war als selbst die Höhepunkte ihrer Liebesnacht. »Danke«, würgte er hervor. Er zog sich vorsichtig die Kette über den Kopf, und der Mond legte sich auf seine Brust. »Danke. Ich
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