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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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irgendwo im Stadtteil Russian Hill befinden. Auf dem Konto waren insgesamt knapp fünftausend Dollar gewesen – kein kleiner Betrag vor dreißig Jahren, aber auch nicht ganz das lebensverändernde Traumvermächtnis vom reichen Erbonkel. Das Geld war ungefähr eine Woche nach dem Datum auf dem Brief komplett abgehoben worden, und das leere Konto schien seitdem nicht mehr genutzt worden zu sein. Seltsam, daß seine Mutter es nie erwähnt hatte, aber auch nicht ganz untypisch.
    Theo fiel jetzt ein, daß seine Großmutter wenigstens ein- oder zweimal in seinem Beisein von ihrem Bruder Eamonn gesprochen hatte: Sie hatte ihn als den »schmucken Kerl in der Familie« bezeichnet, aber auch so etwas gesagt wie, er habe nie »die Füße auf den Boden gekriegt«. Doch sie schien ihn gemocht zu haben, jedenfalls nach seinem Brief zu schließen. Er erinnerte sich auch, daß sie einmal über einen nahen Verwandten, in dem er jetzt diesen Eamonn vermutete, die Bemerkung gemacht hatte: »Wenn er sich seine Schlauheit zunutze gemacht hätte, wäre er bestimmt Millionär geworden. Aber nur lesen und grübeln allein reicht nicht aus, man muß auch was tun mögen.«
    Theo starrte das Sparbuch an. Was war mit dem Mann geschehen? War er krank gewesen, als er das geschrieben hatte? Die Sache mit der »Reise, von der es keine Wiederkehr gibt«, hörte sich nicht sehr gut an. Und was hatte er der Familie angetan, daß er meinte, sich bei Theos Mutter entschuldigen zu müssen, einem Menschen, den er offenbar kaum gekannt hatte?
    Das Sparkonto war schon lange leer, wo aber waren die anderen in dem Brief erwähnten Sachen? Theo wußte, daß er sich um dringendere Angelegenheiten kümmern sollte, doch im ganzen Nachlaß seiner Mutter war dieser Brief von seinem Großonkel bis jetzt das erste, das ihn nicht schlichtweg deprimierte. Statt sich weiter in dem inneren Loch zu vergraben, in das er gefallen war, sollte er lieber etwas unternehmen, irgend etwas, das ihn nach draußen an die frische Luft brachte.
    Warum ist eigentlich dieser Schlüssel immer noch da? Er muß für einen Banksafe sein. Aber auch wenn der in dieser Dings, dieser Traveler’s Bank ist, nützt der Schlüssel mir gar nichts, solange ich nicht die Safenummer kenne. Ich habe vermutlich einen Rechtsanspruch auf Auskunft, wenn ich ihnen beweise, daß er zum Erbe meiner Mutter gehört, und sie bitte, mir die Nummer zu sagen, aber das würde bedeuten, daß ich die Testamentseröffnung und das ganze bürokratische Brimborium abwarten muß, nicht wahr?
    Matt und verdrossen bei dem Gedanken zupfte er am Rand des steifen, dunkelgelben Heftstreifens, mit dem der Schlüssel am Brief festgemacht war. Der alte Klebefilm löste sich an einer Seite vom Papier, der Schlüssel klappte ab wie an einem Scharnier, und dahinter kam ein Tintenkrakel zum Vorschein. In der gedrängten, pedantischen Handschrift seines Großonkels Eamonn stand dort so klein, daß der Schlüssel sie verdeckt hatte, die Zahl »612«.
     
    E r fand die Adresse in einer kleinen Querstraße auf halber Höhe eines steilen Hügels. Es war eines von diesen schmalen viktorianischen Häusern in San Francisco, an denen man vorbei war, bevor man sie überhaupt wahrgenommen hatte; beinahe hätte er das Schild der Traveler’s Bank neben der Klingel übersehen. Als erstes kam ihm der Gedanke, daß es ziemlich merkwürdig war, eine Bank in einem Wohnhaus zu haben, als zweites die Frage, ob vielleicht jemand den Namen behalten, aber etwas anderes daraus gemacht hatte – eines von diesen noblen Winzrestaurants, die man nie im Leben entdeckt, wenn einem nicht ein Freund davon erzählt, oder ein Graphikeratelier. Für eine moderne Bank war es zu klein, und auf einer Straße wie dieser mußte die Laufkundschaft gleich null sein.
    Die Haustür hatte eine Glasscheibe, doch im Innern brannte kein Licht, und so konnte er nichts erkennen. Neben dem Namen der Bank war der Gitterkreis einer Sprechanlage mit einem kleinen Knopf, und er drückte darauf.
    »Krroak mörrkchl mornt?« Die leise, nervöse Stimme, die aus dem Lautsprecher krächzte, war möglicherweise menschlichen Ursprungs.
    »Hallo? Ich habe einen Safe bei Ihnen, glaube ich.«
    Nach kurzem Zögern summte die Tür. Er drückte sie auf, betrat ein dunkles Treppenhaus und stieg die Stufen hinauf. Die Tür im Hochparterre stand auf. Eine mollige junge Frau mit hellen, glatten Haaren erwartete ihn unsicheren Blicks. »Sie sagen, Sie haben Safe?« Sie hatte einen leichten Akzent,

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