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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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mich mit diesem zehn Pfund schweren Bakelithörer k.o. schlägt, falls ich es noch ärger treibe.
    Wie dunkel und muffig das Vorderzimmer auch gewesen war, so wirkte es im Vergleich zum Hinterzimmer doch lebhaft und bunt wie ein Pop-Art-Gemälde. Das einzige Licht dort kam aus einer Drahtkugel, die einst als Gerippe eines runden Papierschirms gedient hatte und in der jetzt die nackte Glühbirne hing wie eine leuchtende Sonne im Zentrum eines mittelalterlichen Planetariums. Es gab Regale über Regale mit langen, schmalen Kartonkästen, doch die meisten schienen die Kundenkartei zu enthalten, denn sie quollen von handgeschriebenen DIN-A-7-Karten über.
    »Mr. Root will jemand anstellen, der alles bringt in Computer«, erklärte die Frau entschuldigend.
    Theo bemühte sich, nicht über die Vorstellung zu lachen, daß irgendeine arme Sau die Datenerfassung für einen Laden machen sollte, der wie ein im Originalzustand erhaltenes Finanzinstitut aus dem 19. Jahrhundert aussah. Wenn dies nicht das Hinterzimmer von Scrooge und Marley aus Dickens’ Weihnachtsgeschichte war, dann war es jedenfalls eine verflucht gute Imitation. »Zeigen Sie mir bitte einfach die Safes.«
    Vor den Metallkästen, die mehrere eigene Regale nahe der Rückwand einnahmen, stand auf einem schmalen Läufer ein uralter Drehstuhl als Bequemlichkeit für einen unglücklichen Bob Cratchit, der hier arbeiten mußte. Theo fand Nummer 612, setzte sich damit hin und probierte mehrmals ohne Erfolg den Schlüssel. Das Problem war das alte Schloß, nicht etwa der falsche Schlüssel: Nach mehrmaligem Rütteln knirschte der Schlüssel schließlich durch den Dreck, der das Loch verstopfte, und der Kasten ging auf. Theo hätte sich nicht gewundert, wenn dem Ding eine Tutanchamuns Grab würdige Staubwolke entstiegen wäre.
    Statt Gold oder Juwelen – die er hier schwerlich erwartet hatte – fand er nur ein ledergebundenes Notizbuch.
    Er verabschiedete sich von der aufgeregten jungen Frau, und als er die Treppe hinabging, war er als passionierter Märchenleser halb darauf gefaßt, daß die zehn Minuten, die er in der Bank verbracht hatte, in Wirklichkeit zehn Stunden gewesen waren, daß der Mond hoch am Himmel stand und das nächtliche Viertel menschenleer war, doch draußen vor der Tür war es immer noch ganz prosaisch Nachmittag. Als er auf dem Rückweg zu seinem Motorrad aus der winzigen Duende Street herauskam, brannte die Sonne heiß herab und der Wind, der durch die steile Straße pfiff und in seinen Haaren und Sachen spielte, trug ihm den Geruch der Bucht zu.
     
    O bwohl es noch recht früh war, um zu Abend zu essen, suchte er ein Denny’s auf, und während er auf sein Putensandwich wartete, rührte er Zucker in seinen Kaffee und schlug das Notizbuch auf.
    Eamonn Dowds gedrängte Schrift war jetzt leichter zu lesen, sei es, weil Theo sich langsam daran gewöhnte, sei es, weil dieser Versuch eines modernen Märchens, wie sein Verfasser es genannt hatte, unter weniger gehetzten Bedingungen entstanden war als der Brief an seine Nichte. Gleich von den ersten Zeilen an las er sich mehr wie eine Autobiographie als wie ein Roman, doch das entsprach durchaus der Tradition des 18. und 19. Jahrhunderts, die Dowd anscheinend nähergelegen hatte als der Stil seiner eigenen Zeit. Theo überlegte, wann sein Großonkel geboren worden war, wobei er von Oma Dowds Tod Anfang der achtziger Jahre zurückrechnete. Wenn er einer ihrer älteren Brüder gewesen war, vielleicht sogar bis zu fünfzehn Jahre älter – keine Unmöglichkeit bei so einer großen Familie –, dann konnte er in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts geboren worden sein, was seine literarischen Einflüsse verständlich gemacht hätte.
    Ende des 19. Jahrhunderts. Als er zum erstenmal Hemingway gelesen hat, war er mindestens so alt wie ich jetzt.
    Das bedeutete auch, wenn er 1971 von einer »Reise, von der es keine Wiederkehr gibt« schrieb, dann war damit wahrscheinlich sein eigener natürlicher Tod gemeint.
    Das Sandwich mit dem kleinen Nest Pommes frites, das der Kellner ihm im Vorbeisausen vor die Nase stellte, fiel gleichsam vom Himmel. Theo aß langsam und nur mit einer Hand, damit er umblättern konnte.
     
    Ich habe von jeher eine Unruhe in mir gespürt,
     
    fing die Geschichte an.
     
    In einem früheren Jahrhundert, im Land meiner Vorfahren, wäre ich vielleicht einer der Fischer gewesen, die fernab der Küste die Fahrt in die fremden Länder Wales und Cornwall wagten, oder bei einer leicht

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