Der Blumenkrieg

sogenannten ›höheren Elfen‹ zu nehmen, ist ein schlechtes Geschäft, obwohl sie genau das seit vielen Jahren tun. Und auch wenn es energietechnisch lohnender wäre, hat die moralische Fragwürdigkeit der Sache schon immer vielen Leuten hier Bauchschmerzen bereitet.
    Dies alles wurde mir in der Nacht klar, als ich vor Fürst Veilchen stand. Er allein hatte anscheinend den Mut aufgebracht, sich vor den versammelten Familien hinzustellen und zu erklären, er könne die Versklavung anderer Elfen zum eigenen Nutzen nicht länger gutheißen. Er wäre vielleicht anderer Meinung gewesen, wenn die Strategie aufgegangen wäre, aber man erreichte mit ihr ganz offensichtlich nicht mehr, als den unvermeidlichen Zusammenbruch hinauszuzögern. Eine Elfenstadt, mußt du wissen, ähnelt einer Menschenstadt in wenigstens einer wichtigen Hinsicht. Sie ist etwas Unnatürliches, und je unnatürlicher etwas ist – in diesem Fall die Konzentration von Leuten an einem Ort, die einhergeht mit der Verwendung zahlloser arbeitssparender Geräte und der Gewinnung von Lebensraum für immer mehr Leute –, um so mehr Energie verbraucht sie. Neu-Erewhon ist eine Art umgekehrtes Sonnensystem, in dem die Stadt zusehends zu einer Sonne wird, die nicht Licht und Wärme an ihre Umgebung abgibt, sondern sie von allem anderen abzieht.
    Jedenfalls hatte Veilchen an jenem Tag vor langer Zeit für einen Wechsel plädiert und war gescheitert. An der Oberfläche sah weiterhin alles normal aus, und sehr wenige Leute auf der Straße hätten vermutet, daß der nächste Blumenkrieg unmittelbar bevorstand, doch Belleius Veilchen war kein Dummkopf. Er hatte die anderen Herrscher nicht auf seine Seite ziehen können, und da er Nieswurz und dessen Partei durch seine öffentliche Stellungnahme gegen sich aufgebracht hatte, war unbedingt mit ihrer Rache zu rechnen. Fürst Veilchen wußte, daß er nicht genug mächtige Verbündete hatte, um zu gewinnen, und er wußte auch, daß Nieswurz sich nicht damit begnügen würde, das Haus Veilchen lediglich aus dem inneren Zirkel der Mächtigen auszuschließen. Er mußte damit rechnen, daß es zerschlagen und wahrscheinlich vollkommen ausgerottet wurde.«
    »Wie diesmal das Haus Narzisse.«
    »Genau. Des weiteren solltest du dir vor Augen führen, daß die in Elfien geltenden Regeln zwar merkwürdig sein mögen, aber daß sie funktionieren. Ich habe dieses Land dreißig Jahre lang studiert, und ich habe viel gelernt. Ich kann dir immer noch nicht genau sagen, was Elfien ist, ob es eine Welt für sich ist oder so etwas wie ein Spiegelbild der Menschenwelt, doch obwohl seine Regeln für unsere Art zu denken unbegreiflich sein mögen, sind sie genauso gültig wie die physikalischen Gesetze, die du vielleicht einmal in der Schule gelernt hast. Wenn du hier einen Eid schwörst, dann erfüllst du ihn lieber, oder du wirst definitiv die Früchte ernten, und sie werden auf eine eigentümlich treffende Weise bitter sein. Wenn du zu Mitternacht eine Wegkreuzung aufsuchst, wirst du auf jemanden treffen, der dir einen Handel vorschlägt, selbst wenn es nur ein Hügelgräbertroll ist, der dir zwei Schritte Vorsprung läßt, bevor er dich fängt und dir das Fleisch von den Knochen reißt.«
    Theos Furcht war ein wenig abgeklungen, obwohl nicht davon die Rede sein konnte, daß er sich wohlfühlte. »Hat das irgendwas mit Fürst Veilchen zu tun?«
    »Durchaus. Hetze mich nicht. Elfien hat seine Regeln, und sie mögen magisch erscheinen und sind es in gewisser Hinsicht auch, aber sie funktionieren. Eine davon ist die Primogenitur. Weißt du, was das heißt? Nein? Lieber Gott, Junge. Es heißt, daß der Erstgeborene erbt, in manchen Fällen auch das älteste lebende Kind. Und damit meine ich nicht bloß Grund und Boden und den Familien-PKW. Ich meine alles, alle Kräfte, Verträge, Zauber und Pflichten, die das Oberhaupt der Familie, meistens der Vater, im Laufe eines sehr, sehr langen Lebens angesammelt hat. Das ist einer der Gründe, weshalb sogar ein Progressiver wie Veilchen mich dafür haßte, daß ich in eine Elfenfamilie eingeheiratet hatte, und weshalb es ihn besonders erbitterte, mich um Hilfe bitten zu müssen. Für seine Begriffe und die der anderen war es mehr als ein Standesfrevel, Menschen in die Abstammungslinie der hohen Häuser gelangen zu lassen, es bedeutete das mögliche Ende einer der wichtigsten Wahrheiten des Elfenlebens, daß nämlich, solange noch ein einziges Kind am Leben ist, die Familie fortbesteht und