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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Durchgang, eine Pforte, wie du es nennen willst, wurde geöffnet, und ich wurde so unzeremoniell durch den feurigen Rahmen gestoßen wie ein Müllsack, der eine Rutsche hinuntergeworfen wird. Ich nahm nichts mit als die Kleidung, die ich bei meiner Ankunft in Elfien getragen hatte, mein Notizbuch und an einem Halsband unter dem Hemd einen verzauberten Stein, den der Beseitiger mir gegeben hatte, eine Art Signalgeber, so wie ich es verstand. Die Pforte schloß sich hinter mir, und ich fand mich im Golden Gate Park von San Francisco wieder, auf einer offenen Wiese, wo ich zwei Penner zu Tode erschreckte, als ich plötzlich aus dem Nichts vor ihnen auftauchte. Vielleicht hatte das zur Folge, daß sie hinterher wie in einem alten Bilderwitz aus der Zeitung dem Alkohol ein für allemal abschworen.
    Jedenfalls stand ich um die Mittagszeit unter der kalifornischen Sonne, ohne zu wissen, wie lange meine Abwesenheit gedauert hatte. Länger, als ich vermutet hätte, wie sich herausstellte. Nach meiner eigenen Zeitrechnung war ich so etwas wie drei oder vier Jahre weggewesen, doch in der Menschenwelt waren derweil ungefähr zwanzig Jahre vergangen. Bei meinem Verschwinden war der Zweite Weltkrieg erst kurze Zeit vorbeigewesen und Truman immer noch Präsident. Jetzt war ich in ein Amerika zurückgekehrt, das in einem südostasiatischen Land namens Vietnam in einen heillosen Krieg verstrickt war. Richard Nixon, ein Mann, an dessen Namen ich mich nur dunkel erinnerte, war Präsident. Die sechziger Jahre gingen gerade zu Ende, und die ganze Welt erschien mir verzerrt wie ein Bild in einem Jahrmarktsspiegel.
    Dies alles wußte ich zu dem Zeitpunkt natürlich noch nicht, und wenn alles so gelaufen wäre, wie ich es geplant hatte, hätte ich es auch nie erfahren.
    Einigermaßen überwältigt schlenderte ich zum Musikpavillon des Parks hinüber und überlegte mir, was ich als nächstes tun sollte. Jedesmal, wenn ein junges Paar mit einem Kinderwagen auf dem Weg zum Aquarium oder zum japanischen Teegarten vorbeikam, mußte ich den Impuls unterdrücken, auf der Stelle das Kind an mich zu reißen und wegzulaufen. Viel Zeit blieb mir nicht: Ich mußte meine Aufgabe vor dem nächsten Sonnenaufgang erledigt haben, wenn ich wollte, daß der Beseitiger mich anhand des Steins an meinem Hals in der Menschenwelt ausfindig machen konnte, jedenfalls war das die Erklärung, die er mir gegeben hatte. Vielleicht war es eine Lüge – mit Sicherheit diente der Stein einem heimtückischeren Zweck, wie ich entdecken sollte. Aber Tatsache war, daß ich immer panischer wurde, je mehr ich begriff, wie schwierig diese Aufgabe war und daß ich, wenn ich versagte, meine geliebte Erephine niemals wiedersehen würde.
    Je mehr ich darüber nachdachte, um so deutlicher wurde mir, daß ich mir nicht einfach irgendein Kind schnappen konnte. Ich konnte ja das Veilchenkind – dich, Theo, jawohl – erst dann mit dem anderen Kind vertauschen, wenn der Beseitiger es mir ausgehändigt hatte. Ich mußte die Sache so arrangieren, daß alles am selben Ort zur selben Zeit geschehen konnte, und bis dahin durfte ich mich auf keinen Fall irgendwie verdächtig machen und riskieren, verhaftet zu werden und jede Hoffnung auf Rückkehr zu verwirken.
    Ich hatte in meinen letzten hektischen Stunden in Elfien das Problem nicht in seiner ganzen Kompliziertheit durchdacht. Jetzt blieb mir genau ein halber Tag, um zu einer Lösung zu kommen, und so wanderte ich durch den Park und zermarterte mir das Hirn. Ich ging immer weiter – schließlich wollte ich nicht als Landstreicher aufgegriffen werden – und gelangte irgendwann zum Postamt in meinem alten Stadtteil Cole Valley. Ich wußte, daß die Post, die in meinem Schließfach lag, nach zwanzig Jahren zum allergrößten Teil bedeutungslos sein würde, aber da ich immer noch keine Ahnung hatte, wie ich die Sache bewerkstelligen sollte, hatte ich sonst nichts zu tun. Der Dauerauftrag, den ich der Traveler’s Bank vor meinem Übertritt nach Elfien gegeben hatte, lief noch, und das Schließfach gehörte nach wie vor mir. Ein Haufen Post wartete auf mich – ein recht kleiner Haufen für eine Abwesenheit von zwanzig Jahren, aber das Zeitalter der Reklamesendungen fing gerade erst an –, und ich setzte mich in ein Lokal, um sie bei einer Tasse Kaffee zu lesen. Es gab ein paar Briefe von Männern, mit denen ich zur See gefahren war, und ein paar von Frauen, die ich in diversen Häfen kennengelernt hatte. Auch ein paar geschäftliche Sachen.

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