Der Blumenkrieg
anderen Veranlagung auch ein Priester, der das Evangelium zu den kleinen, verstreuten Inseln in der Irischen See brachte.
Statt dessen wurde ich in eine Welt geboren, in der mir die entlegensten Gegenden Asiens näher und leichter zugänglich erschienen, als die Grafschaft Cork für einen meiner Urururgroßväter gewesen wäre. Ich schätzte die Vorteile dieser kleineren Welt, doch schon als Knabe war es mir nicht lieb, wie sehr die Zunahme des Wissens und das Schrumpfen der Entfernungen alles Geheimnisvolle aus der Welt verbannten.
Bücher waren die Segelschiffe meiner Kindheit, die mich aus den windigen Straßen Chicagos entführten und nach Bagdad und Broceliande, nach Sparta und in den Sherwood Forest trugen. Zeitweise – denn meine Kindheit war nicht besonders glücklich, und das nicht allein der Armut wegen – kam es mir so vor, als wären solche Orte viel wirklicher als die langweilige Welt aus Pflaster und Beton, die mich umgab.
Es muß bessere Welten geben, dachte ich mir, und ohne mir dessen bewußt zu sein, schlug ich damit meine Bahn im Leben ein. Es muß mehr geben als den kalten Schatten unseres Hauses in der Calumet Avenue und das Rattern der Züge über uns, zweimal die Stunde.
Eamonn Dowd, oder wenigstens dieser möglicherweise völlig fiktive Doppelgänger, riß zum erstenmal mit zwölf Jahren von zu Hause aus und fuhr als blinder Passagier auf Güterzügen bis Denver, bevor er von der Bahnpolizei geschnappt und nach Chicago zurückgeschickt wurde, wo sein Vater ihn tüchtig vermöbelte, sich aber ansonsten über die drei Monate Vagabundenleben seines ältesten Sohnes wenig entsetzt zeigte.
Als er fünfzehn war, brannte er wieder durch, und diesmal kam er sogar bis San Francisco, wo er es mit einer falschen Altersangabe schaffte, auf einem nach China fahrenden Frachter anzuheuern. Das war noch vor dem Ersten Weltkrieg, und in den Häfen des Pazifiks ging es wild und gefährlich zu, so daß der junge Eamonn irgendwann zu dem Schluß kam, es gebe zum Glück doch noch mancherlei Geheimnisvolles in der Welt. Er wurde Zeuge, wie ein japanischer Matrose, der eine alte Frau zu Boden gestoßen hatte, von einer aufgebrachten Meute in Hangtschou totgeprügelt wurde, und machte seine erste sexuelle Erfahrung mit einer Prostituierten in Kaulun, die nur wenig älter war als er. Sie hieß Erster Regen und war aus ihrem heimischen Bauerndorf in Schensi weggelaufen. Dowd (oder jedenfalls die gleichnamige Hauptperson des Buches) lebte einige Monate mit ihr zusammen, doch schließlich ergriff ihn wieder die Wanderlust, und er fand eine Überfahrt zurück in die Staaten auf einem Schiff, das einen Zwischenhalt in Hawaii einlegte.
An dem Punkt, wo Dowd über seinen ersten Hulatanz staunte – am Anfang des Jahrhunderts für einen jungen Mann ein sexuell sehr viel stimulierenderes Erlebnis als am Ende –, hatte Theo sein Sandwich aufgegessen und sich zum zweitenmal Kaffee nachschenken lassen. Draußen vor dem Restaurant war der lange Sommernachmittag in den Abend übergegangen, und die Autos fuhren mit Licht.
Er überflog die dicht beschriebenen Seiten, las nur noch diagonal. Bei Kriegseintritt der USA im Jahre 1916 ging der Erzähler zur Marine.
Ein Jahr später war er Koch auf der USS Oregon, doch da sie in erster Linie ein Schulschiff war, erlebte er keinen Gefechtseinsatz, was er nicht als großen Verlust zu werten schien. Danach versuchte er, in San Francisco seßhaft zu werden, wo die Oregon stationiert war, war sogar kurzzeitig mit einem Mädel namens Lizzie O’Shaughnessy verlobt, der Tochter eines Hafenarbeiters, doch sein Drang in die Ferne war nicht so leicht totzukriegen. Nach dem Abschied von der Marine verließ er Mitte der zwanziger Jahre auch die Stadt. Mehrere von Lizzies Brüdern drohten damit, ihn umzubringen, falls er jemals zurückkehrte, aber vermutlich nur wegen der Enttäuschung, die er ihr bereitet hatte: Theo konnte sich nicht vorstellen, daß Dowd heil davongekommen wäre, wenn er eine hübsche irische Katholikin geschwängert und sie dann nicht geheiratet hätte. Er ging zur Handelsmarine und bereiste Europa, Afrika und den Nahen Osten, und überall spürte er jenem Zauber nach, an dem sich schon seine romantischen Kindheitsphantasien entzündet hatten, und erlebte Abenteuer, die auch in den weniger spannenden Fällen Theos Neid erregten, vorausgesetzt, daß es sich um wirkliche Begebenheiten handelte.
Theo hatte sein Stück Kokoscremetorte aufgegessen, legte geistesabwesend
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