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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Annas Mann schnarchen hören. Ich nahm ihr Kind aus der Wiege und legte dich hinein. Es war sehr sonderbar, denn schon als ich dich ablegte, fühlte ich deine beginnende Veränderung, eine Art … Hinübergleiten … aber ich war zu aufgeregt und ängstlich, um genauer achtzugeben. Ich eilte mit dem Kind meiner Nichte zur Hintertür hinaus. Als ich in den Garten hinaustrat, griff eine Hand nach mir und berührte den Stein des Beseitigers auf meiner Brust. Ein schmerzhafter Schock durchzuckte mich, und mit einem Aufschrei stürzte ich wehrlos zu Boden.
    Eine furchtbare Kälte überkam mich, und dann geschah etwas Unbegreifliches, das ich heute noch nicht anders beschreiben kann, als daß ich pfeilgerade aus mir selbst hinausschoß. Plötzlich schwebte ich in der Luft wie eine Seifenblase und sah auf den Garten deiner Eltern hinab, wo mein eigener Körper im Gras lag und sich krümmte. Ich kann dir nicht sagen, wie sehr mich die Erkenntnis erschreckte, daß ich mich nicht mehr in diesem Körper befand. Der maskierte Fremde reichte das gestohlene Kind durch die Pforte jemandem zu, der wohl nur der auf der anderen Seite wartende Beseitiger gewesen sein kann. Dann kam der Fremde zurück. Er nahm die Kette mit dem Stein vom Hals meines leblosen Körpers, und als er wieder auf die Pforte zuschritt, fühlte ich, wie ich hinter dem Stein hergezerrt wurde. Der Stein war dabei, meine unkörperliche Essenz mitzuziehen!
    Zu meiner Schande hatte ich die Naturgesetze Elfiens vergessen gehabt und vor allem die Tatsache, daß sie genauso wortwörtlich gelten wie im Märchen. Der Beseitiger hatte geschworen, das Kind und mich über die Schwelle zu holen, aber er hatte sich nicht dazu geäußert, wie er das tun wollte. Offensichtlich hatte er vor, den Vertrag buchstabengetreu zu erfüllen – das nicht zu tun, ist hier immer gefährlich –, und zwar auf die einzig mögliche Weise, nämlich indem er meinen Körper zurückließ und mich dazu verurteilte, als unbehauster Geist durch Elfien zu irren.
    Doch der Zufall wollte es anders. Jemand hatte meinen Schreckens- und Schmerzensschrei gehört. Peter Vilmos riß das Fenster auf und schrie der schattenhaften Gestalt etwas zu. Ich frage mich, ob er den Durchgang nach Elfien sah, und wenn ja, wofür er den hielt. Hat er eine solche Nacht jemals erwähnt? Na, ist auch egal. Erschrocken ließ der Diener des Beseitigers den Stein an der Kette dicht vor der leuchtenden Pforte ins Gebüsch fallen. Dein Stiefvater drohte lauthals mit der Polizei, und der Durchgang nach Elfien flackerte bereits. Der maskierte Fremde zögerte kurz, dann ließ er den magischen Stein liegen, sprang hindurch und schaffte so gerade noch die Flucht. Kaum hatte sich die Pforte geschlossen, da befand ich mich wieder in meinem Körper. Ich rappelte mich mühsam auf, klaubte den Stein auf – in meiner körperlosen Form hatte ich genau gesehen, wo er hingefallen war –, und kletterte dann damit über den Zaun deiner Stiefeltern. Ich war von dem Erlebnis immer noch ganz benommen und muß den Eindruck eines Betrunkenen erweckt haben. Ich kam kaum hinüber. Als ich mich endlich durch die Hecken zur nächsten Straße durchgezwängt hatte, war ich wieder ausreichend bei Sinnen, um mir zu sagen, daß bestimmt schon die Polizei alarmiert war und ich zu Fuß nicht weit kommen würde. Ich entdeckte einen leeren Gartenschuppen und harrte dort schlotternd bis kurz vor Tagesanbruch aus, bevor ich in einem Zustand abgrundtiefer Verzweiflung nach San Francisco zurückfuhr. Ich war betrogen worden. Ich hatte für nichts und wieder nichts meine eigenen Verwandten verraten. Ich würde meine geliebte Erephine Primel nie mehr wiedersehen.
    Wie sehr ich auch vorher gelitten hatte, so war das doch gar nichts dagegen, was ich in den folgenden Tagen durchmachte. Wenn ich kein Geld auf der Bank gehabt hätte, wäre ich bestimmt irgendwo in der Gosse verendet, ein erfrorener Obdachloser mehr. Aber ich hatte Geld, und so nahm ich mir ein Hotelzimmer, später eine Wohnung, und führte ein bescheidenes Leben, damit ich nicht arbeiten und auf irgend etwas anderes Zeit verwenden mußte als auf die Obsession, die mich beherrschte. Meinen Nachbarn muß ich lediglich als ein zerstreuter und einsamer Mann erschienen sein, aber in Wahrheit war ich geisteskrank. Ein einziger Gedanke verzehrte mich: irgendwie nach Elfien und zu Erephine zurückzukehren. Ach ja, und mich unter allen Umständen an der Kreatur zu rächen, die mich verraten hatte, dem Beseitiger

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