Der Blumenkrieg
Und dann hielt ich die Karte in der Hand, drei Monate alt, ein geradezu unglaublicher Zufall – die Geburtsanzeige.«
»Von meinen Eltern«, sagte Theo tonlos.
»Von meiner Nichte Anna und ihrem Mann, ja«, bestätigte Dowd. »Deinen Adoptiveltern sozusagen. Ich sehe die Karte heute noch vor mir. Ein Sohn, knapp sieben Pfund, 3450 Gramm, um genau zu sein, getauft auf den Namen Theodore Patrick Vilmos.
Ich will das nicht unnötig in die Länge ziehen. Ich kann mir vorstellen, daß dir das weh tut. Ich dachte daran, einfach anzurufen und mich zu einem Besuch bei ihnen zu Hause in San Mateo einzuladen – schließlich ist es das Natürlichste von der Welt, daß ein Onkel, der nach langer Abwesenheit heimkehrt, gern seine Nichte und ihren Mann und ihr neugeborenes Baby sehen möchte. Doch dann wurde mir himmelangst vor den möglichen Folgen, wenn etwas schiefging. Außerdem war ich wegen der Zeitdifferenz zwischen Elfen- und Menschenwelt annähernd zwanzig Jahre jünger, als ich hätte sein sollen, und ich fürchtete, sie könnten Verdacht schöpfen und mich für einen Betrüger halten. Wenn das keine Ironie ist, was? Ich wollte nicht, daß sie mich für einen gefährlichen Fremden hielten, weil mich das daran gehindert hätte, ihr Kind zu stehlen! Statt dessen nahm ich ein Taxi zur Traveler’s Bank in Russian Hill, die, wie du inzwischen ahnen wirst, eine besondere Einrichtung ist, die seit langem schon Reisende nach Elfien und in andere fremde Welten betreut, hob einen ordentlichen Batzen Geld ab und fuhr dann mit dem Taxi weiter die Halbinsel hinunter bis San Mateo, was mich ein kleines Vermögen kostete. Nachdem ich das Haus gefunden hatte, spazierte ich durch die Nachbarschaft und wartete darauf, daß es dunkel wurde. Als es endlich Abend war, kletterte ich auf einen Baum im Garten eines abwesenden Nachbarn und beobachtete Anna und ihr Baby durchs Fenster. Ich muß wohl nicht sagen, daß mir bei meinem Tun nicht sehr wohl war.«
Theo hatte schon wieder ein flaues Gefühl im Magen. Ihm war zumute, als steckte jemand einen Finger direkt in seine Lebenserinnerungen und verschmierte sie in alle Richtungen, bis nichts mehr so war, wie er gedacht hatte. »Nur … nur die Fakten. Erzähl mir, was geschah.«
»Du kannst mich verachten, wenn du willst, aber vergiß nicht, ich war verzweifelt. Außerdem dachte ich, der kleine Theodore würde in Elfien in einer guten Familie aufwachsen, meine Nichte würde mit einem Kind aus vornehmstem Elfenadel entschädigt und sie würde nie erfahren, daß ein Austausch stattgefunden hatte. Der Beseitiger, mußt du wissen, hatte mir erläutert, daß es zu einer Art … Vermischung kommt, wenn ein Wechselbalg anstelle eines Menschenkindes untergeschoben wird. Jedes Kind nimmt etwas vom Wesen des anderen an. In seiner ersten Nacht in der Wiege wird der kleine Elf dem Menschenkind zum Verwechseln ähnlich, und auch mit diesem gehen subtile Veränderungen vor, selbst auf die Ferne. Trotz ihrer Trennung sind sie verbunden wie siamesische Zwillinge.«
»Ich sehe also genauso aus, wie der echte Theo ausgesehen hätte?«
»Nicht ganz genauso, aber sehr weitgehend, soweit ich das herausfinden konnte.«
Das traurige Geständnis, das seine Mutter ihm auf dem Sterbebett gemacht hatte, kam ihm ins Gedächtnis. »Sie wußte es.«
»Was?«
»Meine Mutter wußte es. Daß ich nicht … daß ich nicht wirklich ihr Sohn war.«
Eamonn Dowd wirkte unruhig und besorgt, aber nicht wegen Theos Worten, zumal er kaum zugehört hatte. »Ja, gut, ich sollte diese Erklärung zu Ende bringen. Die Zeit könnte knapper sein, als ich dachte.«
»Was heißt das?«
Dowd fuhr fort, als ob Theo nichts gesagt hätte. »Nachdem ich mich mit Hilfe des dafür vorgesehenen Zaubers für den Beseitiger sichtbar gemacht hatte, ging um Mitternacht eine leuchtende Pforte auf, und eine verhüllte und maskierte Gestalt erschien am Fuße des Baums mit dem kleinen Veilchenkind auf dem Arm – mit dir. Es war nicht der Beseitiger. Ich weiß bis heute nicht, wer oder was es war. Irgendein anderer armer Narr, den der Beseitiger sich mit einem Trick gefügig gemacht hatte und der die einzige ihm erlaubte Reise in die Menschenwelt für einen Besuch verschwendete, der nur wenige Minuten dauerte. Ich fühlte mich wie ein Mörder, als ich mit rasendem Herzen zum Kellerfenster schlich – ich hatte gesehen, daß es nicht verschlossen war –, hineinkroch und mit dem Veilchenkind auf dem Arm die Treppe hinauf ins Haus ging. Ich konnte
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